Leitsatz (amtlich)
Eine Kapitalgesellschaft, die mehrheitlich an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, kann Dividendenansprüche aus einer zum Bilanzstichtag noch nicht beschlossenen Gewinnverwendung der nachgeschalteten Gesellschaft grundsätzlich nicht aktivieren.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Anteile in den Streitjahren 1985 und 1986 zu 100% von X gehalten wurde. Ihr Wirtschaftsjahr stimmte mit dem Kalenderjahr überein. 1985 bestand ein vortragsfähiger Verlust aus 1980 von rd. 10 Mio. DM. Am 23.12.1985 erwarb die Klägerin mit Wirkung vom selben Tag von X ca. 84 % des Grundkapitals der H-AG für rd. 40 Mio. DM. Den Kaufpreis beließ X, der die Beteiligung an der H-AG im April/Mai 1985 erworben hatte, der Klägerin als Darlehen. Am 24.6.1986 beschloss die Hauptversammlung der H-AG, deren Wirtschaftsjahr ebenfalls mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, die Feststellung des Jahresabschlusses zum 31.12.1985. Gleichzeitig wurde beschlossen, je Stammaktie eine Dividende von 29 DM auszuschütten. Für die Klägerin ergab sich hieraus eine Bruttodividende von rd. 9 Mio. DM. Der Jahresabschluss der Klägerin auf den 31.12.1985 wurde am 25.6.1986 aufgestellt und testiert. In ihm wurde die Dividende der H-AG einschließlich der anrechenbaren Steuern als Ertrag des Jahres 1985 erfasst. Auf dieser Basis ermittelte die Klägerin für das Jahr 1985 ein Einkommen vor Verlustabzug von 10,3 Mio. DM, so dass sich nach Abzug des vorgetragenen Verlustes (10,2 Mio. DM) ein zu versteuerndes Einkommen von rd. 100000 DM ergab. In ihrer Steuererklärung für 1986 berücksichtigte die Klägerin demgemäß die Dividende der H-AG für 1985 nicht. Das Finanzamt nahm dagegen an, dass der Anspruch auf die Dividende der H-AG bei der Klägerin erst bei der Veranlagung für 1986 zu erfassen sei. Das FG wies die Klage ab. Im Revisionsverfahren legte der I. Senat des BFH folgende Fragen dem Großen Senat zur Entscheidung vor:
- Kann ein Unternehmer, der in seinem Betriebsvermögen eine Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft hält und kraft seiner Stimmenmehrheit diese Gesellschaft beherrscht, seinen Anspruch aus einer nach Ablauf seines Geschäftsjahres beschlossenen Gewinnausschüttung der Gesellschaft in seiner Steuerbilanz zum Ende des betreffenden Geschäftsjahres ("phasengleich") aktivieren?
- Besteht ggf. die Möglichkeit der phasengleichen Aktivierung allgemein oder nur unter bestimmten Umständen? Ist sie insbesondere davon abhängig, dass
- im Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz des beherrschenden Unternehmens ein Gewinnverwendungsbeschluss oder ein Gewinnverwendungsvorschlag der beherrschten Gesellschaft vorliegt,
- die beteiligten Unternehmen einem Konzernabschluss i.S. der §§290 ff. HGB unterliegen oder
- im konkreten Einzelfall bereits am Bilanzstichtag die spätere Ausschüttung wahrscheinlich war?
Entscheidungsgründe
Die Rechtsfrage, ob eine Kapitalgesellschaft, die am Bilanzstichtag an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt ist und diese kraft ihrer Stimmenmehrheit beherrscht, einen zivilrechtlich erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss nach dem Bilanzstichtag entstehenden Dividendenanspruch schon in ihrer Bilanz zum Bilanzstichtag "phasengleich" aktivieren darf, entscheidet sich danach, ob die künftige Dividendenforderung als Wirtschaftsgut bereits mit Ablauf des Bilanzstichtages entstanden war. Nicht jeder Vermögenswert ist ein Wirtschaftsgut. Erst seine Greifbarkeit macht das Wirtschaftsgut aus. Aus dem Grundsatz der selbständigen Bewertbarkeit folgt, dass ein durch Abspaltung entstehendes Wirtschaftsgut erst dann als solches anzuerkennen ist, wenn es sich zumindest wirtschaftlich bereits verselbständigt (realisiert) hat. Die bloße Abspaltbarkeit reicht nicht aus.
Deshalb ist die Möglichkeit der Aktivierung einer Dividendenforderung vor Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses im Grundsatz zu verneinen. Die wirtschaftliche Abspaltung einer Dividendenforderung von der Beteiligung kann zeitlich früher nur ausnahmsweise dann und insoweit angenommen werden, als zum Bilanzstichtag ein Bilanzgewinn der Gesellschaft auszuweisen ist, der mindestens ausschüttungsfähige Bilanzgewinn den Gesellschaftern bekannt ist und für diesen Zeitpunkt anhand objektiver Anhaltspunkte nachgewiesen ist, dass die Gesellschafter endgültig entschlossen sind, eine bestimmte Gewinnverwendung künftig zu beschließen. Die Frage, ob der Gesellschafter bei unterstellter Kenntnis schon am Bilanzstichtag zu einem bestimmten Beschluss über die Gewinnverwendung endgültig entschlossen war, ist eine innere Tatsache, die praktisch nicht bewiesen werden kann und die ihn vor allem nicht daran hindert, nach dem Bilanzstichtag seine Absichten zu ändern. Auf derartige Unsicherheiten würde sich aber ein Erwerber der künftig erst entstehenden Dividendenforderung nicht einlassen. Hieraus folgt, dass von äußerst seltenen Ausnahmefällen abgesehen die wirtschaftliche Realisation einer Dividendenforderung schon zum Bilanzstichtag noch nicht angenommen werden kann. Dies ents...