Jörg Wilde, Gerhard Jaser
Vorsicht bei vorweggenommener Erbfolge
Eine böse Überraschung kann ein Grundstückseigentümer erleben, wenn er eine vermietete Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf einen Nachkommen überträgt, der Schulden übernehmen muss oder Abfindungen an Geschwister oder andere Personen zu leisten hat, wenn seit Anschaffung des Grundstücks noch keine 10 Jahre vergangen sind. Auf die Bezeichnung im Übergabevertrag kommt es nicht an. Der Vorgang wird steuerlich in einen voll unentgeltlichen und einen voll entgeltlichen Teil aufgespalten. Hierbei ist das Verhältnis der übernommenen Verpflichtungen und zu leistenden Zahlungen zum Verkehrswert des Grundstücks maßgebend.
Teilentgeltliche Grundstücksübertragung
F hat im Juli 2015 eine Eigentumswohnung erworben und nach Fertigstellung vermietet. Die Anschaffungskosten betrugen 240.000 EUR. Da der Vater aufgrund seines Vermögens die Erbschaftsteuerbelastung für seine Tochter gering halten wollte, übertrug F am 1.10.2020 beim Notar die Wohnung auf seine Tochter T. Diese muss die noch offene Darlehensschuld von 40.000 EUR übernehmen und außerdem an ihren Bruder Ausgleichszahlungen von 60.000 EUR leisten. Der Verkehrswert der Wohnung liegt im Zeitpunkt der Übertragung bei 300.000 EUR. Die von F als Werbungskosten abgezogenen Abschreibungen in den Jahren 2015-2020 betrugen insgesamt 25.200 EUR.
Es liegt eine teilweise entgeltliche Grundstücksübertragung vor. Damit muss F einen Gewinn nach § 23 EStG versteuern.
Berechnung:
Entgelt: |
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Schuldübernahme |
40.000 EUR |
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Ausgleichszahlung |
60.000 EUR |
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Insgesamt |
100.000 EUR |
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Verkehrswert: |
300.000 EUR |
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Entgeltlich veräußerter Teil: |
100.000 EUR / 300.000 EUR |
= 33 1/3 % |
Anschaffungskosten insgesamt: |
240.000 EUR |
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Hiervon 33 1/3 % |
80.000 EUR |
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Steuerpflichtiger Gewinn: |
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Erlös: |
100.000 EUR |
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- Anschaffungskosten 33 1/3 % |
80.000 EUR |
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+ 33 1/3 % der AfA |
8.400 EUR |
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Zu versteuernder Gewinn: |
28.400 EUR |
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Teure Übertragung
Obwohl aus der Sicht von F keine Veräußerung stattfand, sondern "nur" eine Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, muss er trotzdem einen Veräußerungsgewinn versteuern, da die Übertragung nicht unentgeltlich erfolgte.
Falls T die Eigentumswohnung vor dem 2.10.2030 veräußert, kann auch bei ihr ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstehen, da sie 1/3 entgeltlich erworben hat.
Verkehrswert im Übergabevertrag ausweisen
Je höher der Verkehrswert bei einer teilentgeltlichen Veräußerung angesetzt wird, umso höher ist der zu versteuernde Gewinn (und auch die Notariatskosten). Es empfiehlt sich, den Verkehrswert im Übergabevertrag auszuweisen, denn eine Einigung der Vertragsparteien über den Verkehrswert eines Grundstücks ist grundsätzlich der Aufteilung eines teilentgeltlichen Veräußerungsvorgangs in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil zugrunde zu legen, solange dagegen keine nennenswerten Zweifel bestehen.
Vor Übertragung einer vermieteten Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sollte, falls es sich um eine gemischte Schenkung oder eine Schenkung unter Auflage handelt, auf jeden Fall geprüft werden, ob seit der Anschaffung bereits 10 Jahre vergangen sind.