Leitsätze (amtlich)

  1. Verzieht ein Arbeitnehmer im Verlauf eines Kalenderjahres vom Inland ins Ausland, so sind seine in diesem Kalenderjahr nach dem Wegzug erzielten Einkünfte auch dann im Wege des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen, wenn sich sein neuer Wohnsitz in einem EU-Staat befindet (Fortentwicklung des Senatsurteils vom 19.12.2001, I R 63/00, INF 2002, S. 314).
  2. Es ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dass § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996 die Zusammenveranlagung eines im Inland Ansässigen mit seinem im Ausland lebenden Ehegatten nur dann zulässt, wenn in dem betreffenden Kalenderjahr entweder die Einkünfte beider Ehegatten zu mehr als 90 % der deutschen Einkommensteuer unterlegen oder ihre in Deutschland zu besteuernden Einkünfte sich auf nicht mehr als 24 000 DM belaufen haben (Anschluss an EuGH-Urteil vom 14.9.1999, Rs. C-391/97 (Gschwind), BStBl II 1999, S. 841).
 

Sachverhalt

Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger. Er wohnte bis zum 16.2.1997 (Streitjahr) im Inland und erzielte bis zu diesem Zeitpunkt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 70 772 DM. Vom 17.2.1997 an wohnte der Kläger in den Niederlanden, wo er ebenfalls nichtselbständig tätig war. Die im Streitjahr in den Niederlanden erzielten Einkünfte waren höher als diejenigen, die der Kläger bis zu seinem Wegzug erzielt hatte. Am 7.11.1997 heiratete der Kläger eine niederländische Staatsangehörige, die im Streitjahr keine Einkünfte erzielte und zu keiner Zeit einen Wohnsitz in Deutschland hatte. Das Finanzamt veranlagte den Kläger für das Streitjahr zur ESt und berücksichtigte hierbei die in den Niederlanden erzielten Einkünfte durch den Progressionsvorbehalt. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt[1]. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

  1. Die in den Niederlanden erzielten Einkünfte dürfen nicht in die Bemessungsgrundlage der für das Streitjahr festzusetzenden Steuer einbezogen werden. Hierüber herrscht zwischen den Beteiligten kein Streit. Die in der Zeit vom 17.2. bis zum 31.12.1997 erzielten Einkünfte des Klägers sind jedoch gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996 im Wege des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996 sind, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht während des Veranlagungszeitraums beginnt oder endet, die in dem betreffenden Veranlagungszeitraum erzielten und nicht der deutschen ESt unterliegenden ausländischen Einkünfte bei der Bemessung des anzuwendenden besonderen Steuersatzes zu berücksichtigen (Progressionsvorbehalt)[2]. Wie der Senat[3] entschieden hat, greift diese Bestimmung unabhängig davon ein, ob der Steuerpflichtige außerhalb der Zeit seiner unbeschränkten Steuerpflicht beschränkt steuerpflichtige Einkünfte erzielt hat oder nicht. Kann sich der Steuerpflichtige auf ein DBA berufen, so setzt die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts nicht voraus, dass das DBA sie positiv erlaubt; sie ist vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn ein einschlägiges DBA sie verbietet. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Ebenso wie das DBA-USA[4] enthält auch das DBA-Niederlande keine Bestimmung, welche die Anwendung des Progressionsvorbehalts in der vorliegend zu beurteilenden Gestaltung untersagt.

Die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts im Streitfall verstößt nicht, wie der Kläger meint, gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Ihr steht insbesondere Art. 48 Abs. 1 EGV[5] nicht entgegen. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf das in Deutschland zu versteuernde Einkommen des Klägers führt nicht dazu, dass dieses Einkommen sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden - also im Ergebnis doppelt - besteuert wird. Der steuerliche Zugriff Deutschlands beschränkt sich vielmehr auf diejenigen Einkünfte, die der Kläger vor seinem Wegzug in die Niederlande erzielt hat, während für die nachfolgend erzielten Einkünfte des Klägers nur die Niederlande steuerberechtigt sind. Eine umzugsbedingte Mehrfachbelastung ein und derselben Einkünfte, die mit der Garantie der Freizügigkeit nicht vereinbar wäre, liegt mithin nicht vor. Ebenso führt die Anwendung des § 32b EStG 1996 nicht dazu, dass die in Deutschland besteuerten Einkünfte des Klägers infolge des Wegzugs einem höheren Steuersatz unterworfen werden als demjenigen, dem sie bei einer Beibehaltung des Wohnsitzes in Deutschland unterlegen hätten. Wäre nämlich der Kläger während des gesamten Streitjahrs ausschließlich in Deutschland wohnhaft gewesen, so wäre sein gesamtes Jahreseinkommen der deutschen ESt unterworfen worden, und zwar nach dem hierfür vorgesehenen tariflichen Steuersatz. Das ist genau derjenige Steuersatz, der im Wegzugsfall auf die von Deutschland besteuerten Einkünfte angewandt wird. Auch in diesem Punkt erleidet der Kläger mithin keinen wegzugsbedingten Nachteil.

  1. Das FA hat zu Recht eine Einzelveranlagung des Klägers durchgeführt und die Steuer nach dem hierfür vorgesehenen Tarif festgesetzt. Das Begehren des Klägers, ihn für das Streitjahr ...

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