Leitsätze (amtlich)

  1. Ob bestimmte Einkünfte den Regeln über die unbeschränkte Steuerpflicht unterliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen.
  2. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist wörtlich und nicht teleologisch reduziert auszulegen.
  3. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nicht verfassungswidrig.
  4. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG verstößt gegen kein "Gebot der inneren Sachgesetzlichkeit".
  5. Die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG setzt abkommensrechtlich lediglich voraus, dass das einschlägige DBA die Berücksichtigung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet (Änderung der Rechtsprechung).
 

Sachverhalt

Der Kläger war von 1994 bis Anfang 1997 (Streitjahr) bei der X-AG, einer inländischen Kapitalgesellschaft, nichtselbständig tätig. Er wohnte während dieser Zeit im Inland. Mit Wirkung zum 31.3.1997 wurde er zur Muttergesellschaft der X-AG, ein US-amerikanisches Unternehmen (nachfolgend: M), versetzt. In diesem Zusammenhang zog er schon am 8.3.1997 in die USA um. Die X-AG bescheinigte dem Kläger auf der LSt-Karte für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.3.1997 einen Bruttoarbeitslohn von 121 423 DM, wovon ein Betrag von 22 485 DM auf eine zehntägige Tätigkeit in den USA im Zeitraum vor dem 8.3.1997 entfiel. Der gesamte im Streitjahr erzielte Arbeitslohn des Klägers belief sich auf (umgerechnet) 368 997 DM. Außerdem erzielte er im Streitjahr Einkünfte aus Kapitalvermögen von 18 494 DM, wovon 1 279 DM auf die Zeit vom 1.1. bis zum 8.3.1997 entfielen. Der Kläger ging davon aus, dass der auf die Zeit vom 9.3. bis zum 31.12.1997 entfallende Arbeitslohn weder in die Bemessungsgrundlage der deutschen ESt einzubeziehen noch bei der Bemessung des anzuwendenden Steuersatzes zu berücksichtigen sei. Dagegen unterwarf das Finanzamt den gesamten für die Zeit bis zum 31.3.1997 bescheinigten Arbeitslohn der Steuer. Den hierauf anzuwendenden Steuersatz ermittelte es gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG unter Einbeziehung der in den USA erzielten Einkünfte. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt[1]. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

  1. Der Kläger war bis zum 9.3.1997 in der Bundesrepublik unbeschränkt und nach dem 8.3.1997 nur noch beschränkt einkommensteuerpflichtig. Soweit der Arbeitslohn vor dem 9.3.1997 zufloss, unterliegt er kraft unbeschränkter Steuerpflicht des Klägers der ESt. Denn die unbeschränkte Steuerpflicht führt aus der Sicht des EStG zur Besteuerung des Welteinkommens. Ob bestimmte Einkünfte den Regeln über die unbeschränkte Steuerpflicht unterliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen.
  2. Soweit der Arbeitslohn dem Kläger in der Zeit nach dem 8.3.1997 ausgezahlt wurde, unterliegt er (nur) mit dem Betrag der ESt, der sich als Gegenleistung für eine im Inland ausgeübte oder verwertete Tätigkeit des Klägers darstellt. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG bezieht in die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte ausdrücklich Arbeitslohn für eine nichtselbständige Tätigkeit ein, die im Inland ausgeübt "worden ist". Hiernach ist nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Lohnzahlung im Inland tätig ist und durch den Arbeitslohn die gegenwärtige Tätigkeit abgegolten wird. Vielmehr greift § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch dann ein, wenn ein im Ausland wohnhafter Arbeitnehmer früher im Inland tätig war, diese Tätigkeit inzwischen aufgegeben hat und nun eine Nachzahlung für die frühere Tätigkeit erhält. Entscheidend ist mithin nicht eine zeitliche Kongruenz zwischen der Lohnzahlung und der im Inland ausgeübten Tätigkeit, sondern allein der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen beiden. Im Streitfall lässt sich anhand der vom FG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, inwieweit die von der X-AG bescheinigte Lohnzahlung, soweit sie 22 485 DM übersteigt, in einem solchen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Inlandstätigkeit des Klägers steht. Sofern die in Rede stehende Zahlung der X-AG zu steuerpflichtigen Einkünften des Klägers geführt haben sollte, stünde deren Besteuerung in der Bundesrepublik das DBA-USA nicht entgegen. Das gilt wiederum unabhängig davon, ob der Kläger im Zeitpunkt der Auszahlung des Arbeitslohns durch die X-AG noch in der Bundesrepublik ansässig war oder nicht. Denn nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-USA dürfen Gehälter, Löhne oder ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Das hiernach bestehende deutsche Besteuerungsrecht wird nicht durch Art. 15 Abs. 2 DBA-USA ausgeschlossen, da die streitige Vergütung - eine Veranlassung der Zahlung durch das Arbeitsverhältnis mit der X-AG unterstellt - von einem in der Bundesrepublik ansässigen Arbeitgeber gezahlt wurde[2].
  3. Die in der Zeit vom 1.4. bis zum 31.12.1997 erzielten ausländischen Einkünfte des Klägers dürfen nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen ESt einbezoge...

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