Neue BGH-Entscheidung

Wieder einmal musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage auseinandersetzen, ob und inwieweit aus einem Räumungsbeschluss gegen einen selbstmordgefährdeten Schuldner vollstreckt werden kann. Um diesen Fall ging es:

Suizidgefährdung

Die Gläubigerinnen betreiben die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung des Grundstücks des Schuldners. Die Räumungsvollstreckung hatte das Vollstreckungsgericht bereits bis zum 31.12.2012 aufgrund einer Suizidgefährdung des Schuldners einstweilen eingestellt und einen weiteren Räumungsschutzantrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Schuldners hatte Erfolg; das Landgericht stellte die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsbeschluss erneut bis zum 26.3.2014 ein, um dem Vollstreckungsgericht die Gelegenheit zu geben, ein Betreuungsverfahren einzuleiten. Das Betreuungsgericht richtete eine Betreuung jedoch nicht ein, weil der Schuldner dies in freier Willensbestimmung ablehne.

Depressive Anpassungsstörung

Anfang 2014 hat das Vollstreckungsgericht den Zuschlag auf das Meistgebot erteilt. Auf die Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben, den Zuschlag versagt und die Zwangsversteigerung bis zum 5.5.2015 einstweilen eingestellt. Den Feststellungen des Gerichts zufolge ist der Schuldner aufgrund einer depressiven Anpassungsstörung ernsthaft suizidgefährdet, und zwar durch den Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses als solchen. Diese Überzeugung stützt das Beschwerdegericht sowohl auf das in diesem Verfahren eingeholte amtsärztliche Sachverständigengutachten als auch auf das in dem Betreuungsverfahren erstellte Gutachten. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Gläubigerinnen hatte keinen Erfolg.

Interessen­abwägung

Dazu der BGH: Der Zuschlag sei nicht ohne Weiteres zu versagen und die Zwangsversteigerung (einstweilen) einzustellen, wenn eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist. Erforderlich sei vielmehr, das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse der von der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen. Es sei daher sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mit Blick auf die Interessen des Erstehers gelte nichts anderes.

Befristete Einstellung des Verfahrens

Stehe indessen fest, dass derartige Maßnahmen nicht geeignet sind, der mit der Fortsetzung des Verfahrens für den Schuldner verbundenen Gefahr einer Selbsttötung wirksam zu begegnen, oder führte die Anordnung der Unterbringung aller Voraussicht nach zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer, so sei das Verfahren einzustellen. Dabei verbietet das Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung des Verfahrens eine dauerhafte Einstellung, weil die staatliche Aufgabe, das Leben des Schuldners zu schützen, nicht auf unbegrenzte Zeit durch ein Vollstreckungsverbot gelöst werden könne. Die Einstellung sei zu befristen und mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen.

Auflagen?

Vorliegend sei ein Ausnahmefall gegeben, in dem eine befristete Einstellung ohne Auflagen erfolgen könne. Eine betreuungsrechtliche Unterbringung scheide derzeit aus. Damit aber verbleibe im Ergebnis nur der von dem Beschwerdegericht beschrittene Weg, die Zwangsvollstreckung auf Zeit einzustellen, um nach Ablauf dieser Zeit zu überprüfen, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen der Vollstreckung Fortgang gegeben werden kann.

(BGH, Beschluss v. 12.11.2014, V ZB 99/14, NZM 2015 S. 264; dazu Bub/Bernhard, FD-MietR 2015, 366779)

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