1 Leitsatz
Ein Mitglied einer Genossenschaft hat nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GenG das Recht, auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift einer Vertreterversammlung (§ 43a Abs. 1 Satz 1 GenG) zur Verfügung gestellt zu bekommen. Dieser Anspruch setzt – auch bei länger zurückliegenden Vertreterversammlungen – nicht voraus, dass dafür ein besonderes Rechtsschutzinteresse besteht.
2 Sachverhalt
Der Antragsteller war zunächst bis zu seinem Ausschluss Ende 2003 Mitglied einer Genossenschaft. Im Jahr 2010 wurde er wieder als Mitglied aufgenommen. Der Antragsgegner war der Vorstand der eG.
Der Antragsteller hatte den Antragsgegner im Jahr 2013 schriftlich gebeten, ihm eine Abschrift der Protokolle der Vertreterversammlungen der Jahre 2009 und 2010 zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung wies er darauf hin, dass ihm bei Durchsicht der Bilanzen für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 der Genossenschaft aufgefallen sei, dass einerseits die Mitgliederzahl von 12.752 im Jahresabschluss 2008 auf 12.595 im Jahresabschluss 2009 gesunken sei, während im gleichen Zeitraum die Anzahl der von den Mitgliedern gehaltenen Geschäftsanteile von 41.476 auf 56.671 gestiegen sei. Zur Klärung benötige er eine Kopie der Niederschrift über die Vertreterversammlungen der Jahre 2009 und 2010.
Da der Antragsgegner die Protokolle nicht übermittelte, beantragte der Antragsteller beim Amtsgericht (AG) Fürth, gegen den Antragsgegner ein Zwangsgeldverfahren nach § 160 Abs. 1 Satz 2 GenG einzuleiten. Das AG Fürth drohte daraufhin dem Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von 200 EUR an, falls er dem Antragsteller die begehrten Abschriften über die Vertreterversammlungen der Jahre 2009 und 2010 nicht zur Verfügung stelle.
Der Vorstand als Antragsgegner nahm hierzu gegenüber dem Gericht schriftlich Stellung und wies darauf hin, dass nach einer Kommentarmeinung zum Genossenschaftsgesetz ein Einsichtsrecht in zurückliegende Niederschriften nur bei einem entsprechenden Rechtsschutzinteresse bestehe, welches der Antragsteller nicht dargetan habe. Überdies sei der Antragsteller weder zum Zeitpunkt der Vertreterversammlungen noch in den betreffenden Geschäftsjahren Mitglied der Genossenschaft gewesen. Der Genossenschaftsverband, dem die eG angehörte, gab ebenfalls eine Stellungnahme ab.
Das AG Fürth hob daraufhin mit Beschluss die Androhungsverfügung auf und wies den Antrag auf Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens zurück. Ein berechtigtes Interesse an einer Einsicht in die Protokolle der Vertreterversammlungen der Jahre 2009 und 2010 sei nicht ersichtlich, weil der Antragsteller seit dem Jahr 2010 wieder Mitglied bei der Genossenschaft sei und er deshalb bereits vor 2 Jahren sein Einsichtsrecht nach § 47 Abs. 4 GenG hätte geltend machen können. Überdies habe der Genossenschaftsverband den vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalt bereits geprüft.
Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller Beschwerde ein. Weder aus dem Gesetz noch aus der Gesetzgebungsgeschichte ergebe sich eine zeitliche Beschränkung des Einsichtsrechts nach § 47 Abs. 4 GenG.
3 Entscheidung
Das OLG Nürnberg hob aufgrund der Beschwerde des Antragstellers den Beschluss des AG Fürth auf. Zugleich wies es das Amtsgericht an, dem Vorstand der eG als Antragsgegner ein Zwangsgeld für den Fall anzudrohen, dass dieser die Verpflichtung der eG, dem Antragsteller die Protokolle der Vertreterversammlungen der Jahr 2009 und 2010 zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllt.
Das OLG hat zunächst ausgeführt, dass die Beschwerde des Antragstellers zulässig ist. Der Antragsteller sei nach § 59 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) beschwerdeberechtigt. Er berufe sich auf die Verletzung eines ihm zustehenden Mitgliedsrechts, nämlich des Einsichtsrechts aus § 47 Abs. 4 Satz 2 GenG. Durch die Ablehnung der Androhung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung dieses Rechts werde er in diesem Recht möglicherweise beeinträchtigt.
Die Beschwerde war form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 63, 64 FamFG) sowie begründet. Der Antragsgegner war nach Ansicht des Gerichts durch die Androhung eines Zwangsgelds nach § 160 Abs. 1 GenG zur Befolgung der Vorschrift des § 47 Abs. 4 GenG anzuhalten, weil er zu Unrecht dem Antragsteller die begehrten Niederschriften der Vertreterversammlungen aus den Jahren 2009 und 2010 nicht zur Verfügung gestellt hat.
Zur Begründung hat das OLG Nürnberg darauf hingewiesen, dass nach § 47 Abs. 4 Satz 1 GenG jedes Mitglied "jederzeit" Einsicht in die Niederschrift einer Generalversammlung verlangen kann. Jedem Mitglied ist außerdem nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GenG auf Verlangen eine Abschrift einer Vertreterversammlung unverzüglich zur Verfügung zu stellen.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners unterscheide § 47 Abs. 4 Satz 2 GenG nicht danach, wann ein Mitglied der Genossenschaft beigetreten sei. Das Gericht hat hierzu weiter ausgeführt, dass das Mitglied mit seinem Beitritt zur eG grundsätzlich alle ihm satzungsmäßig und nach dem Gesetz zustehenden Mitgliedsrechte erwi...