Prof. Dr. Edeltraud Günther, Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Hinterziehungszinsen sind keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung und deshalb nicht von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen.
Sachverhalt
Hinterzogene Steuern sind keine Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Auch sind Steueransprüche, selbst wenn sie in Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung entstanden sind, weder Schadensersatzansprüche aus §§ 823ff. BGB noch diesen oder Geldstrafen vergleichbare Verbindlichkeiten. Eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass von § 302 Nr. 1 InsO von Gesetzes wegen unerlaubte Handlungen allgemein und damit auch Steuerstraftaten nach § 370 AO erfasst werden, sieht der BFH als nicht geboten an.
Denn Steuer- und Haftungsansprüche sind eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterliegen. Dies gilt auch für Hinterziehungszinsen. Denn § 302 Nr. 1 InsO beruht auf dem vollstreckungsrechtlichen Gedanken, dass der Schuldner, gegen den Forderungen aus unerlaubten Handlungen bestehen, wegen dieser Forderungen weniger schutzwürdig ist. Deshalb ist dem Insolvenzschuldner für Forderungen aus unerlaubten Handlungen die Restschuldbefreiung zu versagen. Ebenso wie der auf einer Steuerhinterziehung beruhende Steueranspruch resultieren jedoch auch die Hinterziehungszinsen nicht auf einer unerlaubten Handlung. Sie entstehen nur, wenn die auf einem Steuertatbestand – und nicht auf einer unerlaubten Handlung – beruhende Hauptforderung entstanden ist. Der Zinsanspruch nach § 235 AO hängt somit vom Entstehen des auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steueranspruchs ab. Die Zinsforderung teilt damit das Schicksal der Hauptforderung und kann nicht als aus einer unerlaubten Handlung resultierender Anspruch angesehen werden.
Hinweis
Der BFH hat zudem klargestellt, dass das Anknüpfen an den verwirklichten Lebenssachverhalt als entscheidendes Kriterium für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "anfechtbare Rechtshandlung" in § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 InsO nicht auf das Merkmal "Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" in § 302 Nr. 1 InsO übertragbar ist. Das Abstellen auf die die Aufrechnungsmöglichkeit auslösende Rechtshandlung ohne Rücksicht auf die Entstehung des zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs hält der BFH zur Vermeidung von Gläubigerbenachteiligungen zwar für geboten. Eine vergleichbare Zielrichtung ist der Regelung des § 302 Nr. 1 InsO jedoch nicht zu entnehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 20. 3. 2012, VII R 12/11.