Leitsatz
Wird der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft (wesentliche Beteiligung i.S. von § 17 EStG) nach Übertragung des Anteils und vollständiger Bezahlung des Kaufpreises durch den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, mit dem die Vertragsparteien den Rechtsstreit über den Eintritt einer im Kaufvertrag vereinbarten auflösenden Bedingung beilegen, rückgängig gemacht, so ist dies ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung.
Sachverhalt
Die Klägerin hielt zuvor 50 % und ab August 1995 25 % der Anteile der A-GmbH. Weitere Gesellschafter mit je 25 % waren drei Angehörige. Durch Vertrag vom November 1997 veräußerten die vier Gesellschafter jeweils einen Geschäftsanteil an die M-GmbH. Der Kaufpreis von insgesamt ca. 11,7 Mio. DM war zu ca. einem Drittel bar zu zahlen, den Restbetrag hatte die Erwerberin durch Verrechnung bzw. Neugewährung und Abtretung von Darlehen zu erbringen. Der Kaufvertrag stand unter der auflösenden Bedingung, dass die übernommenen Darlehen nicht rechtswirksam und unwiderruflich durchgeführt wurden. Nachdem zwischen den Beteiligten Streit darüber entstanden war, ob die auflösende Bedingung eingetreten war, schlossen sie im März 2000 einen Rückabwicklungsvertrag und verpflichteten sich, einander die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Der Kaufpreis wurde nur zum Teil in bar zurückgewährt; soweit die hingegebenen Forderungen rückabzutreten waren, ersetzten die Beteiligten das dadurch, dass die Klägerin und ihre drei Angehörigen jeweils 2 Mio. DM in bar zahlten und ihre jeweiligen Darlehensforderungen behielten.
Bei der ESt-Veranlagung der Klägerin für 1997 hatte das Finanzamt antragsgemäß einen Veräußerungsgewinn gem. § 17 EStG von ca. 2,8 Mio. DM festgesetzt. Dagegen hatte die Klägerin mit der Begründung Einspruch eingelegt, es werde über die Rückabwicklung des Anteilskaufs verhandelt. Nach der Rückabwicklung wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück, weil darin ein neuer entgeltlicher Übertragungsvorgang liege. Selbst der Eintritt der vereinbarten auflösenden Bedingung wirke nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück. Das FG gab dem Begehren der Klägerin, den ursprünglich erklärten Gewinn aus der Anteilsveräußerung außer Ansatz zu lassen, statt.
Entscheidung
Nach Auffassung des BFH ist der zunächst steuerpflichtige Veräußerungsgewinn der Klägerin aufgrund des Rückabwicklungsvertrags mit steuerlicher Rückwirkung entfallen.
Was unter einem rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, richtet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz, d.h. hier nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG. Dabei ist zu beachten, dass die Grundsätze, die der Große Senat zu § 16 EStG aufgestellt hat, auch für die Besteuerung des Veräußerungsgewinns gem. § 17 EStG gelten, denn in beiden Fällen geht es um die Besteuerung des Gewinns aus einem einmaligen, punktuellen Ereignis. Bislang ist die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG jede nach der Veräußerung eintretende Veränderung beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis oder -tatbestand so lange und so weit auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückzubeziehen ist, als der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises nicht erfüllt, wobei es nicht darauf ankommt, ob das spätere Ereignis, z.B. der Rücktrittsgrund, "im Kern" bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt war. Der Streitfall ist insoweit anders gelagert, als erst nach vollständiger Begleichung des Kaufpreises ein Rückabwicklungsvertrag geschlossen wurde. Auch in solchen Fällen ist ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu bejahen, wenn der bereits vereinnahmte Kaufpreis aus im Kaufvertrag selbst angelegten Gründen zurückzugewähren ist. Der Eintritt einer im Kaufvertrag vereinbarten auflösenden Bedingung stellt nach Meinung des BFH ein rückwirkendes Ereignis in diesem Sinne dar. Soweit nämlich ein auflösend bedingter schuldrechtlicher Vertrag keine Regelung über den Rückgewähranspruch enthält, müssen die bewirkten Leistungen nach den §§ 812ff. BGB zurückgewährt werden. Der BFH sieht damit die Pflicht zur Rückgewähr des Kaufpreises als Rechtsfolge des Eintritts der auflösenden Bedingung gem. § 158 Abs. 2 BGB und damit als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das gilt jedenfalls dann, wenn entweder zwischen den Beteiligten Einvernehmen über den Eintritt der auflösenden Bedingung besteht, oder wenn in einem zwischen ihnen geführten Zivilprozess ein entsprechendes Urteil ergangen ist. Gleiches muss für einen im Wege der Vergleichs geschlossenen Rückabwicklungsvertrag gelten. Denn es besteht kein vernünftiger Grund, einem solchen Vergleich keine steuerliche Rückwirkung beizumessen und die Vertragspartner zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung oder der Fortführung eines bereits anhängigen Verfahrens zu zwingen, wenn die Rückabwicklung tatsächlich durchgeführt wird.
Praxishinweis
Die Entscheidung knüpft an die vom Großen Senat...