Leitsatz (amtlich)
Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung kann auch bei Ausscheiden eines Wirtschaftsguts des Betriebsvermögens infolge eines unverschuldet erlittenen Verkehrsunfalls gebildet werden (gegen R 35 Abs. 2 EStR).
Sachverhalt
Der Kläger ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. Im Wirtschaftsjahr 1989/90 schied ein Pkw des Klägers durch einen unverschuldet erlittenen Unfall aus dem Betriebsvermögen aus. Die geleistete Entschädigung betrug 16 739 DM, so dass sich nach Abzug des Buchwertes für den Pkw ein außerordentlicher Ertrag von 9 989 DM ergab, den der Kläger über einer Rücklage für Ersatzbeschaffung auf die Anschaffungskosten eines neuen Pkw übertrug. Das Finanzamt lehnte die Übertragung der stillen Reserven ab und erließ die angefochtenen ESt-Bescheide. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.
Entscheidungsgründe
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in R 35 EStR übernommenen Grundsätzen zur Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird. Die Frage, was hier unter höherer Gewalt zu verstehen ist, insbesondere, ob diese Rechtsgrundsätze nur für Buchgewinne gelten, die ihre Ursache in Elementarereignissen - z.B. Brand, Sturm, Überschwemmung oder Erdbeben - haben, oder auch für Buchgewinne, die durch sog. Zufallsschäden mehr oder weniger alltäglicher Art - vom Steuerpflichtigen nicht gewollte und nicht verschuldete Beschädigungen eines Wirtschaftsgutes, die zu dessen Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen führen - bedingt sind, ist offen. Weder RFH noch BFH haben sich bisher mit dieser Frage befasst. Ohne nähere Begründung ist die Finanzverwaltung der Ansicht, höhere Gewalt liege nur vor, wenn das Wirtschaftsgut infolge von Elementarereignissen sowie durch Diebstahl, nicht aber infolge eines Verkehrsunfalls ausscheide.
Nach der Auffassung des erkennenden Senats ist die erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut auch dann zulässig, wenn ein Wirtschaftsgut infolge eines vom Steuerpflichtigen nicht verschuldeten Verkehrsunfalls aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. Der Senat stützt seine Auffassung auf eine Auslegung des vom RFH und BFH im Zusammenhang mit der Rücklage für Ersatzbeschaffung verwendeten Begriffs der höheren Gewalt. Dabei kann die Frage dahinstehen, ob der Begriff der höheren Gewalt in der bisherigen Rechtsprechung in einem umfassenderen Sinne verstanden wurde, als er im Zivilrecht verwendet wird. Danach schließt schon das geringste Mitverschulden des Geschädigten die Annahme höherer Gewalt aus. Im Streitfall wurde aber das abgestellte Fahrzeug des Klägers in dessen Abwesenheit beschädigt, so dass selbst eine mitwirkende Betriebsgefahr ausgeschlossen ist.
Nach der langjährigen Praxis der Finanzverwaltung wird der Diebstahl als ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Instituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung angesehen, obwohl es sich insoweit nicht um ein Elementarereignis handelt. Ebenso wird anerkannt, dass die Vernichtung eines Wirtschaftsgutes durch Brand selbst dann als höhere Gewalt zu beurteilen ist, wenn die Brandursache von einem Dritten vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt wurde. Auch in einem solchen Fall ist die Zerstörung des Wirtschaftsgutes primär nicht durch ein Elementarereignis, sondern durch Einwirkung eines Dritten eingetreten. Wird daher in der Praxis der Rücklage für Ersatzbeschaffung seit langem der zivilrechtliche Begriff der höheren Gewalt auch insoweit angewendet, als er auch von Dritten verursachte Schadensereignisse umfasst, so fehlt es an einer sachgerechten Differenzierung begünstigter Ereignisse, wie Diebstahl oder Brandstiftung und nichtbegünstigter Unfallschäden. Alle diese Ereignisse sind insbesondere auch nicht wegen ihrer Häufigkeit vom Geschädigten in Kauf zu nehmen. Der Kläger hat insoweit zutreffend darauf verwiesen, dass elementare Naturereignisse in bestimmten Gegenden weitaus häufiger und berechenbarer auftreten als Diebstahl, Brandstiftung oder unverschuldete Verkehrsunfälle.
Link zur Entscheidung
BFH vom 14.10.1999 - IV R 15/99