Leitsatz
Ein Unternehmen, das Bauabfälle aufkauft und zwecks Weiterveräußerung aufbereitet, kann im Hinblick auf die aus dem AbfG 1986 und dem BImSchG folgende Entsorgungsverpflichtung eine Rückstellung für die nach dem jeweiligen Bilanzstichtag anfallenden Aufbereitungskosten bilden, wenn nach Sachlage überwiegend wahrscheinlich ist, dass es aus dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung in Anspruch genommen wird.
Sachverhalt
S betreibt ein Recycling-Unternehmen, das angelieferten Abfall, u.a. Bauschutt und Müllverbrennungsschlacke, gegen Entgelt annimmt und anschließend, u.a. durch Aufbereitung und Verkauf, entsorgt. Das Unternehmen wird regelmäßig von Vertretern der Abfall-, Emissionsschutz- und Wasserbehörden kontrolliert. Im Jahresabschluss für das Streitjahr 1995 bildete S Rückstellungen für noch nicht aufbereiteten Bausschutt, Abfallholz, Rohschlacke und Baustellenmischabfälle. Diese Rückstellungen wurden mit den voraussichtlich in 1996 anfallenden Recyclingkosten bemessen. Das Finanzamt erkannte sie als unzulässige "Aufwandsrückstellungen" nicht an. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Angesichts der hier maßgeblichen umweltrechtlichen Bestimmungen des AbfG 1986 und des BImSchG war S dem Grunde nach berechtigt, wegen der ihn treffenden öffentlich-rechtlichen Entsorgungsverpflichtung Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten zu bilden. Bei dieser Verpflichtung handelt es sich nicht um eine bloße Obliegenheit zur Erhaltung der eigenen Betriebsbereitschaft. Die hinlänglich konkretisierte öffentlich-rechtliche Verpflichtung, die angelieferten Abfälle zu verarbeiten, war bereits im Streitjahr wirtschaftlich verursacht; denn das Gesetz knüpft die Entsorgungspflicht an die Anlieferung des Bauschutts.
Entgegen der Ansicht des FG können jedoch nicht für sämtliche im Streitjahr zu gewärtigenden Recyclingkosten Rückstellungen gebildet werden. Denn das FG hat außer Acht gelassen, dass S mit der Aufbereitung der Abfälle auch weitere Einnahmen erzielen wollte. Rückstellungsfähig ist deswegen nur ein Teil der auf S im Folgejahr zukommenden Recyclingkosten. Dieser Teil ist nach den Kosten zu bemessen, die S bei einer Entsorgung der Abfälle durch Ablagerung hätte aufwenden müssen, weil er aus dieser Art der Entsorgung keine Einnahmen mehr erzielte. Es ist sachgerecht, die übrigen im Folgejahr aufzuwendenden Recyclingkosten dem zur Verwertung bestimmten Teil der Abfälle zuzuordnen, mit dem S weitere Erlöse im Folgejahr anstrebte. Die entsprechenden Ermittlungen hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Praxishinweis
Die Entscheidung liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Danach können Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gebildet werden, wenn diese hinreichend konkretisiert sind. Eine hinlängliche Konkretisierung ist gegeben, wenn die öffentlich-rechtliche Verpflichtung auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzielt. Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn
- bereits eine behördliche Verfügung mit dem Gebot des entsprechenden Tätigwerdens des Unternehmers ergangen ist,
- sich der Unternehmer in einer verwaltungsrechtlichen Vereinbarung zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet hat,
- die hinreichend konkretisierte öffentlich-rechtliche Verpflichtung unmittelbar aus einem konkreten Gesetzesbefehl folgt.
Überdies ist erforderlich, dass an die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich der Steuerpflichtige ihrer Erfüllung im Ergebnis nicht entziehen kann. Entscheidend ist letztlich, ob der Steuerpflichtige bereits am Bilanzstichtag ernstlich mit einer Inanspruchnahme aus der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung rechnen musste. Ob dies zutraf, lässt sich letzten Endes nur anhand der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls beurteilen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 21.9.2005, X R 29/03