Leitsätze (amtlich)
- Eine am Bilanzstichtag rechtlich entstandene Verbindlichkeit ist unabhängig vom Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung zu passivieren.
- Es gibt keinen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, der gebietet, Aufwand in das Jahr zu verlagern, in welchem die Erträge erzielt werden, aus denen die Aufwendungen gedeckt werden sollen.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, betrieb in ihrem Säge- und Spanplattenwerk eine Spänetrocknungsanlage. Das Gewerbeaufsichtsamt erließ am 20.12.1988 gemäß §§ 17 Abs. 1, 26 und 28 BImschG eine Anordnung, die der Klägerin aufgab, den Spänetrockner bis 1.3.1991 so umzurüsten, dass vorgegebene Emissionswerte eingehalten werden. Die Klägerin bildete für diese Anpassungsverpflichtung in ihrer Bilanz zum 30.9.1989 eine Rückstellung von 1,2 Mio. DM. Sie wurde vom Finanzamt unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 27.9.1988 nicht anerkannt. Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH entweder das Bestehen einer dem Betrag nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung beider Rückstellungstatbestände muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Im Streitfall sind die Voraussetzungen des ersten Tatbestandes erfüllt; zum maßgebenden Bilanzstichtag bestand eine gesetzliche Verpflichtung der Klägerin zur Anpassung ihrer Anlage. Allerdings setzt die Bildung einer Rückstellung für eine aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen begründeten Verpflichtung voraus, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist. Die Verpflichtung muss auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzielen. Im Streitfall war die Verbindlichkeit der Klägerin hinreichend konkretisiert. Am Bilanzstichtag lag die Verfügung einer Behörde vor, die die Klägerin zu einem genau definierten Handeln innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens verpflichtete. Die Nichterfüllung der Verpflichtung war sanktionsbewehrt.
Der Passivierung der so bestehenden Verpflichtung der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie - wie das BMF meint - wirtschaftlich nicht vor dem Bilanzstichtag 30.9.1989 verursacht worden sei, vielmehr ihren wesentlichen wirtschaftlichen Bezugspunkt in der Zukunft finde. Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr ist ein Merkmal, das zwar bei der Passivierung künftig entstehender Verbindlichkeiten, nicht hingegen bei der Passivierung dem Grunde nach bereits bestehender - lediglich dem Betrage nach ungewisser - Verpflichtungen gilt. Fallen rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit zeitlich auseinander, so ist für ihre Passivierung der frühere der beiden Zeitpunkte maßgebend.
Die teilweise vertretene Auffassung, das Realisationsprinzip sei zumindest sinngemäß auch auf rechtlich bereits entstandene Verbindlichkeiten mit der Folge anzuwenden, dass künftige Aufwendungen zu ihrer Erfüllung nur zu berücksichtigen sind, soweit sie Umsätze vor dem jeweiligen Bilanzstichtag alimentiert haben, findet in der Rechtsprechung des BFH keine Stütze. Das Imparitätsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 1. Halbsatz HGB erfordert die Berücksichtigung aller vorhersehbarer Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind. Diesem Gebot widerspricht es, den Ausweis von Risiken und Verlusten erst mit der Realisierung der damit zu erzielenden Erträge vorzusehen. Unabhängig vom Imparitätsprinzip verlangen auch die Gebote des zutreffenden Vermögensausweises und der Vollständigkeit des Jahresabschlusses den Ausweis vorhersehbarer und hinreichend konkretisierter Risiken bereits mit ihrer Entstehung. Nicht zuletzt widerspricht eine unterbliebene Passivierung bestehender Verbindlichkeiten mit dem Hinweis auf die funktionelle Verknüpfung der Aufwendungen mit der zukünftigen betrieblichen Tätigkeit dem Gebot, sowohl bei der Bewertung als auch bei der Bilanzierung dem Grunde nach von der Fortführung des unveränderten Unternehmens auszugehen. Es fordert die bilanzielle Berücksichtigung aller Verpflichtungen, die bei der zum Stichtag unterstellten unveränderten Fortführung des Betriebs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erfüllen sein werden.
Der Senat kann nicht durcherkennen. Die Bildung einer Rückstellung scheidet aus, soweit der künftig zu erwartende Aufwand als Herstellungsaufwand zu aktivieren war.
Link zur Entscheidung
BFH vom 27.6.2001 – I R 45/97