Leitsatz
- Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzverpflichtungen für die nicht vollständige Rückgabe von Leergut darf steuerrechtlich nur gebildet werden, wenn der Getränkehersteller von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen Kenntnis hat oder zumindest eine derartige Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht.
- Nach den im Getränkehandel branchenüblichen Abläufen kann im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen nur aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme des Rückgabeverpflichteten gerechnet werden.
Sachverhalt
Die X-KG betreibt einen Großhandel und ist neben anderen Getränkehändlern über einen Kooperationsvertrag an der Y-KG beteiligt. Diese kauft zentral Waren ein und hat mit mehreren Getränkeherstellern Verträge abgeschlossen, nach denen das Leergut an die Lieferanten zurückzugeben ist. Der Lieferant berechnet jeweils Pfandbeträge und erteilt für zurückgegebenes Leergut Gutschriften, die als anerkannt gelten, sofern der Kunde nicht binnen zwei bzw. drei Wochen schriftlich widerspricht. Die Lieferanten sind berechtigt, von der Y-KG für nicht zurückgegebenes Leergut Schadensersatz zu verlangen, auf den das eingezahlte Pfandguthaben angerechnet wird. Nach den Lieferbedingungen der Y-KG ist fehlendes Leergut zum Wiederbeschaffungspreis zuzüglich Umsatzsteuer zu ersetzen. Der Y-KG sind regelmäßig entsprechende Leergutsalden durch die Lieferanten mitgeteilt und u.a. an die X-KG weiterberechnet worden. Nach einer Außenprüfung bei der X-KG wurden die für 1999 gebildeten Pfandrückstellungen nicht anerkannt. Einspruch, Klage und Revision hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Die X-KG durfte zum 31.12.1999 keine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzansprüche aufgrund von Nichterfüllung bzw. verzögerter Erfüllung bestehender Rückgabeverpflichtungen hinsichtlich des Leerguts bilden, denn sie musste zum Bilanzstichtag nicht ernsthaft mit ihrer Inanspruchnahme rechnen.
Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für nach Grund bzw. Höhe ungewisse Verbindlichkeiten sind nicht erfüllt. Das setzt das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit sowie deren wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag voraus; außerdem muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Bei privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen erfordert das entweder die Kenntnis des Gläubigers von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen oder zumindest eine derartige unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung.
Danach ist die Würdigung des FG, eine Inanspruchnahme der X-KG zum Bilanzstichtag sei nicht ernsthaft wahrscheinlich gewesen, möglich und vertretbar. Nach dem von der X-KG und zwei weiteren Partnern mit der Y-KG geschlossenen Kooperationsvertrag waren die Partner verpflichtet, sämtliche Getränke zentral über die Y-KG einzukaufen. Deren Lieferbedingungen bestimmten lediglich, dass das fehlende Leergut zum Wiederbeschaffungspreis zuzüglich Umsatzsteuer zu ersetzen ist. Nach den vertraglichen Voraussetzungen war von ungewissen Verbindlichkeiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach auszugehen.
Im Übrigen war den Lieferanten der X-KG nach den typischen Gegebenheiten im Getränkehandel allein aufgrund der Saldenmitteilungen nicht zugleich bekannt, ob diese ihren Rückgabeverpflichtungen vollständig und zeitnah nachkommen kann. Zum einen können Getränkegroßhändler das Leergut erst nach entsprechendem Zeitablauf zurückgeben, zum anderen sollen die Saldenmitteilungen nur verbindlich den jeweiligen Umfang der Rückverpflichtung rechnerisch festhalten. Daraus kann nicht gefolgert werden, der Kunde werde seine Rückgabeverpflichtung nicht erfüllen. Die X-KG hatte daher nach den branchenüblichen Abläufen nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzugs zu rechnen, zumal damit insbesondere im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen nur aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise gerechnet werden muss. Mangels solcher besonderen Umstände ist demnach davon auszugehen, dass die Kosten für fehlendes Leergut erst mit Beendigung der Lieferverbindlichkeiten zu begleichen sind.
Praxishinweis
Hinsichtlich der Anforderungen an die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzverpflichtungen bewegt sich die Entscheidung im Rahmen der bisherigen BFH-Rechtsprechung. Soweit es um den branchenüblichen Ablauf im Getränkehandel hinsichtlich der Leergutrückgabe geht, kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass bei laufenden Geschäftsbeziehungen nur bei Vorliegen besonderer Umstände, z.B. bei Beendigung der Geschäftsbeziehung, mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme des Rückgabeverpflichteten gerechnet werden muss. Nur in derartigen Ausnahmefällen wäre eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zulässig.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil...