Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999 u.a. vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, S. 402) mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar ist, als danach auch private Veräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998, bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist von zwei Jahren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F.) bereits abgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung unterworfen werden.
Sachverhalt
A hatte 1990 für 350000 DM ein Einfamilienhaus erworben, im Jahr 1997 einen Makler mit dem Verkauf beauftragt und es am 22.4.1999 für 500000 DM wieder veräußert. Das Finanzamt unterwarf den gesamten Veräußerungsgewinn von 150000 DM der Einkommensteuer.
Entscheidung
Der Veräußerungsgewinn wurde nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu Recht erfasst; denn danach ist die Veräußerung von Grundstücken des Privatvermögens steuerpflichtig, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt (bis 1998 zwei Jahre). Diese Vorschrift ist ab 1999 übergangslos anzuwenden. A hat diesen Tatbestand erfüllt.
Abwägung des staatlichen Änderungsinteresses und des Interesses am Fortbestand der Regelung bei unechter Rückwirkung
Der BFH hält diese Regelung jedoch für verfassungswidrig, weil sie als unzulässige unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Vertrauensschutz des A verstößt. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber kann zwar beachtliche Gründe haben, bestehende Rechtslagen zu ändern. Der Bürger kann deshalb nicht darauf vertrauen, dass steuerliche Freiräume uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrechterhalten bleiben. Jedoch ist es erforderlich, bei tatbestandlicher Rückanknüpfung in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen.
Vertrauen besonders schützenswert
Nach Auffassung des BFH überwiegt im Streitfall der Vertrauensschutz des A das Änderungsinteresse des Gesetzgebers. Mit dem Erwerb des Grundstücks hat A eine wirtschaftlich motivierte Disposition getroffen und hierbei das Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Anspruch genommen. Die alte Regelung des § 23 Abs. 1 EStG mit der zweijährigen Spekulationsfrist galt im Zeitpunkt der Anschaffung schon seit 65 Jahren und bildete die Grundlage des Vertrauens von A. Dieses Vertrauen ist besonders schutzwürdig. A musste mit dem steuerlichen Eingriff des Gesetzgebers in wirtschaftlich bereits eingetretene, bisher nicht steuerbare Wertzuwächse nicht rechnen. Er durfte nach Ablauf der (alten) Spekulationsfrist 1992 erwarten, sein Grundstück nun nicht steuerbar veräußern zu können.
Kein Überwiegen öffentlicher Interessen
Die rückwirkende Erweiterung des § 23 EStG war als Maßnahme der Gegenfinanzierung der sich aufgrund des StEntlG 1999ff. ergebenden Steuerausfälle gedacht. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, kann jedoch kein Kriterium des Allgemeinwohls sein, weil dieses Ziel durch jedes, auch durch sprunghaftes und willkürliches Besteuern erreicht würde. Gerade bei wachsendem staatlichem Finanzbedarf ist der Gesetzgeber gehalten, eine gerechte Lastenverteilung zu gewährleisten, und zwar gerade dann, wenn dieser Finanzbedarf durch andere – steuersenkende – Maßnahmen in vorhersehbarer Weise selbst geschaffen wird.
Erfordernis einer angemessenen Übergangsregelung
Ist die übergangslose Neuregelung rechtsstaatswidrig, muss der Gesetzgeber eine angemessene Übergangsregelung treffen. Hier sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Die Entscheidungskompetenz, die ab 1999 für die Veräußerung privater Grundstücke geltende einkommensteuerliche Regelung wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz für nichtig oder für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären und dem Gesetzgeber gegebenenfalls einen Gestaltungsauftrag für eine verfassungskonforme Übergangsregelung zu erteilen, liegt nun beim BVerfG.
Praxishinweis
Der BFH hat mit diesem Vorlagebeschluss den Vertrauensschutz des Bürgers vor rückwirkenden Regelungen verstärkt. Denn auch eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) ist nicht ohne weiteres zulässig; vielmehr bedarf es in jedem Einzelfall einer Abwägung des Interesses des Bürgers, in seinem Vertrauen auf eine bestehende Regelung geschützt zu werden und des Interesses des Staats an einer Änderung der Rechtslage. Es liegt in der Natur einer Abwägung, dass ihr Ausgang nicht gewiss ist. Gleichwohl ist ein verstärkter Vertrauensschutz die Reaktion des Rechtsstaats gegenüber stetig anwachsenden Änderungsbemühungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Überwindung z.B. des Reformstaus. Ziel muss es sein, eine Art praktischer Konkordanz zwischen den Verfassungsprinzipien Rechtsstaat und De...