Leitsätze (amtlich)

  1. Geändert i.S. des § 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ist die Bestimmung über die Vermögensbindung in der Satzung einer GmbH oder eines eingetragenen Vereins erst dann, wenn das Änderungsverfahren durch die Eintragung der Satzungsänderung im Handels- bzw. Vereinsregister abgeschlossen ist.
  2. § 61 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 schließt die Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nicht aus.
 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, war zunächst vom Finanzamt wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke für die Streitjahre 1987 bis 1990 von der KSt freigestellt worden. Am 16.12.1992 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH, den Gesellschaftsvertrag neu zu fassen und dabei u.a. auch die bisherige Regelung zu streichen, nach der bei Auflösung der GmbH oder Wegfall ihres satzungsmäßigen Zwecks das Gesellschaftsvermögen für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden war. Die Neufassung des Gesellschaftsvertrages wurde am 2.2.1993 in das Handelsregister eingetragen. Da der neu gefasste Gesellschaftsvertrag nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO entsprach, veranlagte das Finanzamt die Klägerin im Dezember 1997 für die Jahre 1987 und 1988 zur KSt und GewSt und für die Jahre 1988 bis 1990 zur VSt. Das FG wies die Klage, mit der sich die Klägerin auf Festsetzungsverjährung berief, ab. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

1. Wird - wie im Streitfall - die Bestimmung des Gesellschaftsvertrages über die Vermögensbindung nachträglich so geändert, dass sie nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO entspricht, gilt gemäß § 61 Abs. 3 Satz 1 AO die Bestimmung von Anfang an als steuerlich nicht ausreichend. Nach § 61 Abs. 3 Satz 2 AO hat das Finanzamt in einem solchen Fall § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Maßgabe anzuwenden, dass Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden können, soweit sie Steuern betreffen, die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vor der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung entstanden sind. Die Regelung soll die missbräuchliche Inanspruchnahme der wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke gewährten Vergünstigungen verhindern oder zumindest erschweren[1].

2. § 61 Abs. 3 Satz 2 AO schließt die Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nicht aus. Er begrenzt nur den Zeitraum, für den gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aus der Rückwirkung nach § 61 Abs. 3 Satz 1 AO durch Erlass, Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden steuerliche Folgerungen gezogen werden dürfen. Wie viel Zeit dem Finanzamt zur Verfügung steht, um die Bescheide über die Nachversteuerung zu erlassen, ergibt sich aus § 175 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 169 AO[2].

Ist ein Steuer(mess)bescheid wegen Eintritts eines Ereignisses, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat, gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO - gegebenenfalls i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 3 AO - zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, beginnt nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist[3] mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eingetreten ist. In Fällen des § 61 Abs. 3 AO ist das rückwirkende Ereignis die nachträgliche Änderung der Satzungsbestimmung über die Vermögensbindung, die dazu führt, dass die Satzung nach der Änderung nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO entspricht. "Geändert" i.S. des § 61 Abs. 3 Satz 1 AO ist die Bestimmung über die Vermögensbindung in der Satzung einer GmbH oder eines eingetragenen Vereins erst dann, wenn das Änderungsverfahren durch die Eintragung der Satzungsänderung im Handels- bzw. Vereinsregister abgeschlossen ist. § 61 Abs. 3 Satz 1 AO setzt nicht nur voraus, dass die Bestimmung über die Vermögensbindung nachträglich geändert wird. Sie muss vielmehr so geändert werden, dass sie den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO"nicht mehr" entspricht. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Satzungsänderung durch ihre Eintragung wirksam geworden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt noch die frühere Satzungsbestimmung. Auf sie und damit auf die Tatsache, dass die Satzung hinsichtlich der Vermögensbindung noch den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO entspricht, kann sich die Körperschaft bis zur Eintragung der Satzungsänderung auch gegenüber den Finanzbehörden berufen. Diese dürfen daher vor der Eintragung der Satzungsänderung noch nicht davon ausgehen, dass die Satzung nicht mehr den Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 1 AO genüge.

Bei Erlass der angefochtenen Bescheide war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Sie betrug vier Jahre[4] und begann, da die Satzungsänderung erst 1993 in das Handelsregister eingetragen wurde, mit Ablauf dieses Jahres. Das Finanzamt erließ die angefochtenen Bescheide 1997 und somit innerhalb der Frist.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 25.4.2001 – I R 22/00

[1] Sog. Nachversteuerung; vgl. BR-Drs. 726/75, S. 3
[2] Vgl. BT-Drs. 7/79, S. 28
[3] Vgl. § 169 AO

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