Leitsatz (amtlich)
Bei einer Änderung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sind im Rahmen des Änderungsbetrags auch solche Fehler zu berücksichtigen, die nicht mit dem Grund der Vorläufigkeit zusammenhängen.
Sachverhalt
Die Kläger erklärten für das Streitjahr 1987 u.a. negative gewerbliche Einkünfte von 11 507 DM aus einem Antiquitätenhandel. Angaben zu Kindern fehlten. Das Finanzamt setzte die Steuer von 74 743 DM im ESt-Bescheid vom 18.10.1989 in Bezug auf den Antiquitätenhandel vorläufig fest. Dieser Bescheid wurde unanfechtbar. Nach einer Ortsbesichtigung beurteilte das Finanzamt den Antiquitätenhandel als "Liebhaberei". Es änderte deshalb die Steuerfestsetzung mit dem angefochtenen Bescheid und erkannte den Verlust aus Gewerbebetrieb nicht mehr an. Die ESt erhöhte sich dadurch auf 78 287 DM. Der Änderungsbescheid enthält den Vermerk: "Der Bescheid ist nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO geändert und nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig." Ferner heißt es dort: "Der Steuerbescheid ist endgültig nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb." Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, zwei Kinderfreibeträge, zwei Ausbildungsfreibeträge und zehn Paketsendungen als außergewöhnliche Belastung abzuziehen und die ESt auf 74 796 DM herabzusetzen. Das FG gab der Klage statt. Die Revision blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Das FG hat zutreffend entschieden, dass bei einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO sämtliche Fehler, die bei der Steuerfestsetzung unterlaufen sind, beseitigt werden dürfen, soweit die Änderung reicht. Auch bei einer teilweise vorläufigen Steuerfestsetzung bezieht sich die Vorläufigkeit nicht auf einzelne Besteuerungsgrundlagen, sondern auf die Steuerfestsetzung selbst. Denn die Besteuerungsgrundlagen bilden - außer bei einer gesonderten Feststellung - nur einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids.
Im Rahmen der geänderten Steuerfestsetzung sind - wie auch in anderen Fällen der Korrektur von Steuerbescheiden - materielle Fehler, die bei der ursprünglichen, vorläufigen Steuerfestsetzung unterlaufen sind, zu berichtigen. § 177 Abs. 4 AO steht dem nicht entgegen; danach bleibt u.a. § 165 Abs. 2 AO"unberührt". Das bedeutet nicht, dass die Saldierungsmöglichkeit, die § 177 Abs. 1 und 2 AO vorsieht, bei einer Änderung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen sein soll. Der Begründung zu § 158 des Entwurfs der AO ist lediglich zu entnehmen, dass "die Vorschrift nicht gilt, soweit es sich um die Änderung eines Steuerbescheides nach § 145 Abs. 2 oder § 146 Abs. 3 handelt. Sie kommt auch nicht zur Anwendung, soweit ein Rechtsfehler wegen des Vertrauensschutzes nach § 157 nicht korrigiert werden darf". Der Senat geht davon aus, dass damit nicht die Saldierungsmög-lichkeit ausgeschlossen sein sollte, sondern nur die Möglichkeit der Änderung nach § 165 Abs. 2 AO selbst "unberührt", d.h. nicht ausgeschlossen sein sollte. Die Saldierungsmöglichkeit führt zu einer materiell-rechtlich zulässigen Besteuerung, indem sämtliche Fehler im Rahmen der Änderung des Steuerbescheides korrigiert werden dürfen. Die Steuer materiell richtig festzusetzen, ist das Ziel jeder Steuerfestsetzung. Wenn der Gesetzgeber der eingeschränkten Bestandskraft des Steuerbescheides Vorrang vor der materiellen Richtigkeit des Steuerbescheides hätte einräumen wollen, hätte er dies im Gesetz deutlich zum Ausdruck bringen müssen.
Link zur Entscheidung
BFH vom 2.3.2000 - VI R 48/97