Leitsätze (amtlich)

  1. Eine über 300 Jahre alte Meistergeige, die im Konzertalltag regelmäßig bespielt wird, unterliegt einem technischen Verschleiß, der eine AfA auch dann rechtfertigt, wenn es wirtschaftlich zu einem Wertzuwachs kommt.
  2. Bei Instrumenten, die bereits über 100 Jahre alt sind und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden, kann die Restnutzungsdauer mit 100 Jahren angesetzt werden, sofern der Steuerpflichtige keine kürzere Nutzungsdauer darlegt und nachweist bzw. zumindest glaubhaft macht.
 

Sachverhalt

Die Klägerin war in den Streitjahren 1991 und 1992 als erste Konzertmeisterin im Orchester X tätig. Sie hatte 1988 eine Geige für 247 000 DM erworben und benutzte diese in den Spielzeiten 1988/1989 bis 1991/1992 durchschnittlich 190 mal pro Spielzeit in Ausübung ihres Berufs. Der Wert der Geige betrug im Oktober 1992 ca. 392000 DM. Die Klägerin machte in ihren ESt-Erklärungen für 1991 und 1992 jährliche Abschreibungen von 8 224 DM (Nutzungsdauer: 30 Jahre) als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten nicht an. Das FG gab der Klage insoweit statt, als es Werbungskosten in Form von Abschreibungen dem Grunde nach zuließ, dabei aber von einer 50-jährigen Nutzungsdauer ausging. Die Revision des Finanzamts hatte teilweise Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Eine wirtschaftliche Abnutzung scheidet bei solchen Wirtschaftsgütern aus, die - wie die Geige im Streitfall - keinem Zeitgeschmack unterliegen. Beschränkt sich der körperliche Verschleiß eines Wirtschaftsgutes - wie bei in Räumen aufbewahrten Kunstgegenständen - im Wesentlichen auf geringfügige Umwelteinflüsse und vollzieht er sich deshalb in so großen Zeiträumen, die es nicht mehr erlauben, eine Nutzungsdauer annähernd zu bestimmen, kann eine technische Abschreibung im Hinblick auf ihre Geringfügigkeit im jeweiligen Veranlagungszeitraum steuerlich vernachlässigt werden. Ein solches Wirtschaftsgut ist nicht abnutzbar i.S. des § 7 Abs. 1 EStG[1].

Diese zu Kunstgegenständen ergangene Rechtsprechung gilt auch für Gebrauchsgegenstände, wenn sie nicht entsprechend ihrer jeweiligen Bestimmung genutzt werden, sondern - wie Kunstobjekte - in erster Linie als Sammlungs- und Anschauungsstücke dienen[2]. Werden solche Gegenstände hingegen in ihrer Gebrauchsfunktion verwendet, unterliegen sie bei ständigem Gebrauch i.d.R. einem technischen Verschleiß, der eine Abschreibung auch dann rechtfertigt, wenn ein wirtschaftlicher Wertverzehr nicht eintritt oder es wirtschaftlich sogar zu einem Wertzuwachs kommt[3]. Denn wirtschaftliche oder technische Abnutzung sind jeweils für sich zu beurteilen und berechtigen jeweils für sich gesehen zur Inanspruchnahme von Abschreibungen. Eine Saldierung von technischer Abnutzung und wirtschaftlichem Wertzuwachs ist ausgeschlossen.

Im Streitfall unterliegt die laufend bespielte Geige einem technischen Verschleiß, der nicht vernachlässigt werden kann. Die Nutzungsdauer ist für jedes Wirtschaftsgut grundsätzlich im Einzelfall zu ermitteln[4], was allerdings Typisierungen für bestimmte Gruppen von Wirtschaftsgütern nicht ausschließt. Im Allgemeinen hat der Senat keine Bedenken, bei neuen Meistergeigen eine typisierende Nutzungsdauer von 50 Jahren zugrunde zu legen. Damit wird berücksichtigt, dass es sich bei diesen Geigen um langlebige Wirtschaftsgüter handelt, bei denen eine Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr nur begrenzt feststellbar ist.

Eine Orientierung an diesem Zeitraum hält der Senat allerdings dann für unzulässig, wenn es sich um Instrumente handelt, die bereits über 100 Jahre alt sind und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden. Bei derartigen Unikaten würde eine Schätzung der Restnutzungsdauer mit 50 Jahren zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen. Bei solchen Meistergeigen dürfte eine Restnutzungsdauer von zumindest weiteren 100 Jahren die Regel sein. Dem Steuerpflichtigen bleibt es allerdings unbenommen, eine im Einzelfall kürzere Restnutzungsdauer darzulegen und nachzuweisen bzw. zumindest glaubhaft zu machen. Dies ist indessen im Streitfall nicht geschehen.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 26.1.2001 – VI R 26/98

[1] Vgl. BFH-Urteil vom 2.12.1977, IIIR 58/75, BStBl II1978, S. 164 zu Gemälde anerkannter Meister
[3] Vgl. BFH-Urteil vom 31.1.1986, VIR 78/82, BStBl II1986, S. 355 = INF 1986, S. 252

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