Leitsatz

Die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung gemäß der §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 370 AO sind dem Grunde nach auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen. Dies gilt auch für die Verletzung sog. erweiterter Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerpflichten nach § 90 Abs. 2 AO.

 

Sachverhalt

Aufgrund eines Auskunftsersuchens der Steuerfahndung erklärte Notar N im Oktober 1999, er habe 1993 Wertpapiere im Nominalwert von ca. 450000 DM ins Ausland verlagert und daraus resultierende Zinserträge nicht versteuert. Nach einem von N vorgelegten Schreiben einer Schweizer Bank war dessen Vermögen vom 31.12.1994 bis zum 31.12.1998 von ca. 581000 DM auf ca. 883000 DM gewachsen; für 1994 sei keine Erträgnisaufstellung erstellt worden, da weder Erträge noch Gebühren angefallen seien. Ferner legte N Aufstellungen einer Luxemburger Bank vor, die für 1992 einen Wertpapierbestand von 39000 DM, für 1993 von 728000 DM ausweisen. N räumte ein, aus dem Verkauf eines ererbten Hauses im November 1993 seien ihm 300000 DM und aus dem Verkauf eines Reihenhauses im August 1992 ca. 299000 DM zugeflossen. Außerdem habe sein Privatkonto bei der B-Bank damals ca. 370000 DM ausgewiesen. Als Belege fügte N einen Kontoauszug von August 1992 und eine Bankanweisung bei.

Die Steuerfahndung schätzte die Kapitaleinkünfte ausgehend von einem Anfangsvermögen zum 1.1.1987 von 248000 DM. Dieses Vermögen habe sich jährlich um einen Ansparbetrag von 30000 DM und die Wiederanlage der Zinsen erhöht. Dem gemäß erließ das Finanzamt im April 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1987 bis 1992. Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das FG statt.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat seine Entscheidung zutreffend auf den Grundsatz "in dubio pro reo" gestützt. Zwar hat es nicht hinreichend unterschieden, nach welchen Maßstäben das Vorliegen einer Steuerhinterziehung einerseits und deren genaue Höhe andererseits festzustellen ist. Das ist jedoch unschädlich, da die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen sind.

Änderungsbescheide durften nur erlassen werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung[1] vorlagen. Die insoweit erforderlichen Feststellungen sind nach den Vorschriften der AO und der FGO zu treffen[2], wobei der Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten ist. Zwar trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für steueranspruchsbegründende Tatsachen, für eine Steuerhinterziehung ist jedoch kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt. Bei nicht behebbaren Zweifeln ist die Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduzierten Beweismaßes nicht zulässig. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Bescheids deshalb davon ab, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt, kann das Gericht eine Straftat nur feststellen, wenn es von ihrem Vorliegen überzeugt ist. Dabei ist ausschließlich § 96 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FGO anwendbar, wonach das FG gemäß seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat. Daraus folgert der BFH, dass dem Steuerpflichtigen – anders als bei einer Schätzung nach § 162 AO – die Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht zum Vorwurf gemacht werden darf. Das gilt auch für die Verletzung erweiterter Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO. Damit wird nicht von der Rechtsprechung des BFH[3] abgewichen. Auch hindert der Grundsatz "in dubio pro reo" ein FG nicht, zu der Überzeugung zu gelangen, eine Steuerhinterziehung liege vor.

Im Streitfall hat das FG eine Steuerhinterziehung bereits dem Grunde nach in nicht zu beanstandender Weise verneint. Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Überzeugungsbildung des FG bestehen nicht.

 

Praxishinweis

Der BFH stellt klar, dass auch bei einer Verletzung von Mitwirkungspflichten die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen sind. Diese Feststellungen sind nach den Vorschriften der AO bzw. FGO zu treffen. Hat das Gericht nicht behebbare Zweifel, ist es nicht zulässig, im Schätzungswege zu einer Steuerhinterziehung zu kommen. Denn eine Straftat kann das Gericht nur feststellen, wenn es von ihrem Vorliegen überzeugt ist. Da insoweit ausschließlich § 96 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FGO Anwendung findet, darf dem Steuerpflichtigen nicht die Verletzung von Mitwirkungspflichten vorgeworfen werden. Es ist aber möglich, die Höhe der hinterzogenen Steuern nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO zu schätzen, sofern das Gericht dem Grunde nach von einer Steuerhinterziehung überzeugt ist. Der Grundsatz "in dubio pro reo" schließt es allerdings aus, die Schätz...

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