Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt.
Sachverhalt
K ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. In Vorjahren hatte er Überentnahmen getätigt. Im Streitjahr lagen zwar Unterentnahmen vor, sie waren jedoch niedriger als die Summe der Überentnahmen aus den Vorjahren, sodass sich per Saldo auch für das Streitjahr eine Überentnahme ergab. Das Finanzamt ermittelte darauf den Hinzurechnungsbetrag gem. § 4 Abs. 4a EStG und erhöhte den Gewinn entsprechend. Klage und Revision blieben erfolglos.
Entscheidung
Der Wortlaut des § 4 Abs. 4a EStG ist unzulänglich und birgt isoliert betrachtet erhebliche Auslegungsschwierigkeiten:
- Satz 2, der die "Überentnahme" definiert, spricht ausdrücklich von den Entnahmen, dem Gewinn und den Einlagen "des Wirtschaftsjahrs". Daraus zu schließen, die Vorschrift sei nur anwendbar, wenn es im konkreten Streitjahr zu Überentnahmen gekommen ist, wäre hingegen ein Fehlschluss.
- Der Kern der Regelung steckt in Satz 1, der die Rechtsfolge des Abzugsverbots bestimmt. Satz 1 ist in seiner Formulierung periodenoffen. Er ordnet an, dass die Rechtsfolge eintritt, "wenn Überentnahmen getätigt worden sind", sagt aber nicht, in welchem Veranlagungszeitraum die Überentnahmen vorgelegen haben müssen.
- Die folgenden Sätze ergänzen und konkretisieren diese Regelung. Danach ist die Regelung periodenübergreifend angelegt: Schuldzinsen für Überentnahmen sollen so lange nicht abziehbar bleiben, bis der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen ist. Dies gilt auch dann, wenn im Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann – insoweit abweichend vom Gesetzeswortlaut – auch Unterentnahmen des Streitjahrs zu berücksichtigen.
§ 4 Abs. 4a EStG ist verfassungsgemäß. Zwar ist die Vorschrift durch den Vermittlungsausschuss in das Gesetz eingefügt worden, durch spätere Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber jedoch die gesamte Vorschrift erneut in seinen Willen aufgenommen. Die Vorschrift ist auch materiell verfassungsgemäß; sie verstößt nicht gegen das Nettoprinzip, da sie an Überentnahmen und somit an private Ursachen anknüpft. Auch der dem Gesetzgeber einzuräumende Typisierungsspielraum ist nicht überschritten. Sollte die Typisierung im Einzelfall zu grob sachwidrigen Ergebnissen führen, wären diese gem. § 163 AO durch Billigkeitsmaßnahmen zu korrigieren.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 17.8.2010, VIII R 42/07.