Leitsatz
Auch Verheiratete mit nur einem Kind können Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG als Sonderausgaben dann abziehen, wenn einer der Ehegatten selbst hilfsbedürftig ist.
Sachverhalt
Ein Ehepaar mit einem Kind beantragte für die Streitjahre 1992 bis 1995 den Abzug der Aufwendungen für eine Haushaltshilfe mit der Begründung, die Ehefrau sei selbst hilfsbedürftig, da sie an multipler Sklerose erkrankt sei. Der Schwerbehindertenausweis wies 1992 einen Grad der Behinderung von 50 (Merkzeichen "G"), ab November 1996 von 80 (Merkzeichen "G", "aG", "B") aus. Seit 1997 war die Ehefrau in Pflegestufe II eingeordnet; sie verstarb im Dezember 1997. Das Finanzamt lehnte den Sonderausgabenabzug ab. Das FG bestätigte die Verwaltungsansicht.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf und gab der Klage statt. Zwar sei die Auffassung des FG, dass die Ehefrau nicht hilflos i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b EStG gewesen sei, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; das FG habe dem Schwerbehindertenausweis, der eine solche Einstufung nicht enthielt, eine hohe Indizwirkung beimessen dürfen. Jedoch sei der Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG zu gewähren. Die Vorschrift, die ihrem Wortlaut nach Ehepaaren mit nur einem Kind den Abzug verwehrt, enthält eine verdeckte Regelungslücke, die mit Hilfe teleologischer, systematischer und verfassungsrechtlicher Erwägungen zu schließen ist. Die typisierende Annahme des Gesetzgebers, Ehepaare könnten in diesem Fall die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten ohne fremde Hilfe verrichten, betrifft nur den Regelfall. Wenn ein Ehepartner selbst hilfsbedürftig ist, entspricht die Konstellation der eines Alleinstehenden mit einem Kind. Auch bei den Kinderbetreuungskosten wird die Behinderung oder Krankheit eines Ehegatten berücksichtigt. § 33c Abs. 5 EStG billigt Ehepaaren in solchen Fällen Kinderbetreuungskosten im gleichen Umfang zu wie Alleinstehenden. Würde man den Streitfall so beurteilen, als könnte die Ehefrau an den hauswirtschaftlichen Arbeiten mitwirken, läge ein Verstoß gegen Art. 3 und Art. 6 GG vor. Wegen der anzunehmenden Zwangsläufigkeit der Aufwendungen erfordert auch das subjektive Nettoprinzip als Ausprägung einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit den Abzug der Aufwendungen als Sonderausgaben.
Praxishinweis
Die Entscheidung betrifft ausgelaufenes Recht. Der Sonderausgabenabzug für sozialversicherungspflichtige hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse wurde 1990 eingeführt, 1997 erheblich erweitert – Streichung der Voraussetzungen der Zugehörigkeit von Kindern oder eines Hilflosen zum Haushalt und Erhöhung des Abzugs von 12000 DM auf 18000 DM – und ab 2002 durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung (!) ersatzlos aufgehoben.
Der BFH wollte dem Finanzamt im Streitfall Gelegenheit geben, die Sache im Billigkeitswege nach § 163 AO zu beheben. Er hatte dazu das Revisionsverfahren zunächst ausgesetzt und in den Gründen des Aussetzungsbeschlusses erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG dargelegt. Nachdem das Finanzamt eine Billigkeitsmaßnahme jedoch abgelehnt hatte, legte der BFH die Sache nicht dem BVerfG vor, sondern entschied zugunsten der Kläger, indem er die Vorschrift verfassungsgemäß auslegte.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 23.2.2005, XI R 63/00