Leitsatz

Sog. "Milchersatzprodukte" pflanzlichen Ursprungs sind keine Milch oder Milchmischgetränke i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999, Nrn. 4 oder 35 der Anlage (jetzt: Anlage 2) zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UStG 1999.

 

Sachverhalt

Eine GmbH, die "Milchersatzprodukte" pflanzlichen Ursprungs produziert, erklärte für 2002 die Lieferungen dieser Produkte unter Berufung auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 35 der Anlage dazu mit dem ermäßigten Steuersatz. Die aus Soja, Reis oder Hafer gewonnenen Flüssigkeiten sind im allgemeinen Handel erhältlich und ebenso wie Milch tierischen Ursprungs verwendbar. Sie haben u.a. den gleichen Eiweißgehalt, vergleichbare Mengen an Kohlehydraten, Mineralstoffen, Fetten und Calcium und ähneln auch in ihrer Beschaffenheit und ihrem Aussehen tierischen Milchprodukten. Diese Milchersatzprodukte können z.B. von Verbrauchern, die an einer Überempfindlichkeit gegen Milchzucker leiden, als Substitut für Tiermilch eingesetzt werden.

Die gegen die Anwendung des Regelsteuersatzes durch das Finanzamt gerichtete Klage hatte Erfolg. Das FG vertrat die Auffassung, die einschlägige Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG sei i.S. des Gebots der Neutralität der Umsatzsteuer richtlinienkonform auszulegen. Da Milch und Milchersatzprodukte gleichartige Produkte seien, die unmittelbar miteinander im Wettbewerb stünden, sei auch auf pflanzliche Milchersatzprodukte der ermäßigte Steuersatz anzuwenden. Das Finanzamt legte Revision ein.

 

Entscheidung

Milchersatzprodukte sind weder Milch noch Milchmischgetränke. Die Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG verweist zur Abgrenzung auf den Gemeinsamen Zolltarif (GZT) der EU, dem die KN des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren zu Grunde liegt. Die Begriffe "Milch" und "Erzeugnisse", die in Kap. 4 und in Pos. 2202 KN verwendet werden, sind zolltariflich auszulegen. Waren pflanzlichen Ursprungs sind keine Milch. Denn nach der insoweit maßgeblichen zolltariflichen Auslegung handelt es sich bei den Waren des Abschn. I, zu dem Kap. 4 gehört, um Waren tierischen Ursprungs.

Die (pflanzlichen) Milchersatzprodukte sind insbesondere wegen der herstellungsbedingten Verdünnung mit Wasser auch keine begünstigten Frucht- oder Gemüsesäfte i.S. von Pos. 2009 KN.

Die Lieferung von anderen Getränken als Milch, Milchmischgetränken und reinem Wasser ist stets mit dem allgemeinen Steuersatz zu besteuern.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer eine andere Auslegung der Nr. 35 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG 1999 gebietet.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung gilt allgemein für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, soweit in der Anlage auf zolltarifliche Begriffe verwiesen wird. Die zolltarifliche Einordnung bestimmt die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung, ob der bezeichnete Gegenstand nach der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.

Nicht gewünschte Konsequenzen des strengen Zolltarifrechts könnte der Gesetzgeber durch Einfügung einer ausdrücklichen Ausnahme in die betreffenden Bestimmungen der Anlage vermeiden. Das Gemeinschaftsrecht geht von dieser "selektiven" Anwendungsmöglichkeit aus.

Trotz des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer sind die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich nicht verpflichtet, für sämtliche Leistungen einer Kategorie oder eines Begriffs einer Kategorie des Anhangs H der 6. EG-Richtlinie denselben Steuersatz anzuwenden. Eine "selektive Anwendung des ermäßigten Satzes" ist nach der EuGH-Rechtsprechung nicht ausgeschlossen, sofern sie – wie im Streitfall – keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 9.2.2006, V R 49/04

Dieser Inhalt ist unter anderem im WohnungsWirtschafts Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?