Widerruf wirksam?
Ein Testament kann auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt (§ 2255 BGB). Doch gilt dies auch, wenn ein Dritter, etwa der Schwiegersohn der Erblasserin, die Urkunde "bearbeitet"? Damit musste sich das OLG Stuttgart befassen:
Goldmarie und Pechmarie
Die Verstorbene hinterließ 2 Töchter, von denen sie eine zur Alleinerbin einsetzte, da sich diese jahrelang um den vorverstorbenen Vater und die Erblasserin gekümmert hatte. Ihr privatschriftliches Testament händigte sie ihrer Tochter aus. Nachdem dies in der Familie bekannt geworden war, fand ein Gespräch bei der Erblasserin statt. Daran nahmen ihre beiden Töchter sowie der Schwiegersohn, der Ehemann der auf den Pflichtteil verwiesenen Tochter, teil. Jener legte eine Farbkopie des handschriftlichen Testaments vor. Im Verlauf des Gesprächs brachte er selbst den handschriftlichen Vermerk an, dass dieses Schreiben für ungültig erklärt werde, und strich verschiedene Passagen des Testaments selbst durch. Außerdem zerriss er das Testament, und die Anwesenden unterschrieben – angeblich auf Weisung der Erblasserin –, dass das Testament nicht gelten solle. Nach dem Tod der Mutter beantragte die Testamentserbin einen Alleinerbschein. Das Nachlassgericht kündigte dessen Erlass an, wogegen sich die enterbte Tochter wehrte. Das OLG Stuttgart hat die dagegen erhobene Beschwerde zurückgewiesen.
Widerrufswille nicht erkennbar
Die Erblasserin hat – so das Gericht – weder den Zusatz, dass ihr Testament für ungültig erklärt wird, selbst niedergelegt noch die Handlung zur Vernichtung der Testamentskopie (Zerreißen derselben) selbst vorgenommen. Ein Widerrufswille ist aus diesen Handlungen nicht erkennbar. Lediglich die Streichung, wenn sie bewiesen wäre, könnte auf den subjektiven Widerrufswillen hindeuten und hierfür auch genügen.
Problem: mehrere Urkunden
Allerdings existierten mehrere Exemplare des Testaments, sodass § 2255 Satz 1 BGB vom Wortlaut her schon dann nicht eingreift, wenn die Erblasserin nur eine von mehreren Testamentsurschriften vernichtet oder verändert hatte; die Vermutungsregel des § 2255 Satz 2 BGB gilt somit nicht. Dies gilt erst recht, wenn es sich bei der veränderten Testamentsunterlage nur um eine Kopie handelt. Liegen mehrere Testamentsurkunden vor, ist ein Widerruf nur dann anzunehmen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Aufhebungswille des Erblassers gegeben ist. Ein Aufhebungswille der Erblasserin in Bezug auf das Originaltestament, welches erst 3 Monate zuvor errichtet worden war und – was nahegelegen hätte – von ihr zwecks Vernichtung oder Aufhebung auch nicht zurückverlangt wurde, ist nicht nachgewiesen, weshalb die Beschwerde zurückgewiesen wird.
Fazit
Streicht der Schwiegersohn der Erblasserin auf einer Kopie des Testaments der Verstorbenen Textteile durch, so liegt ein wirksamer Testamentswiderruf selbst dann nicht vor, wenn offenbleibt, ob sich die Erblasserin mit den Handlungen einverstanden erklärte.
(OLG Stuttgart, Beschluss v. 16.8.2017, 8 W 71/16, NJW-Spezial 2018 S. 232)