Grenzprobleme
Bäume im Grenzbereich von Grundstücken sind häufig ein Quell reinster Nachbarschaftsfreuden – erst recht, wenn es auf dem angrenzenden Grundstück zu Schäden durch herabstürzende Äste oder dergleichen kommt. Dann stellt sich die Frage: Haftet der Baumbesitzer, weil er seine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat? So auch in diesem Fall:
Pappeln im Sturm
An einem Junitag waren bei einem Gewittersturm mit einer Windgeschwindigkeit von 63,9 km/h (8 Beaufort) die Baumkronen von 2 auf dem Nachbargrundstück stehenden Silberpappeln auf das Grundstück der Klägerin und dort auf die Dächer dort befindlicher Garagen gestürzt. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Eigentümer des Nachbargrundstücks für die durch die Pappeln entstandenen Schäden aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht einzutreten habe. Der beklagte Nachbar bestreitet sein Verschulden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Keine Haftung des Nachbarn
Nach Meinung des OLG Brandenburg kann die Klägerin den Beklagten weder aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht § 823 BGB) noch im Wege des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs (analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB) in Anspruch nehmen.
Kontrollpflicht?
Zur Verkehrssicherungspflicht des Baumbesitzers stellt das Gericht klar: Der Eigentümer muss auf seinem Grundstück stehende Bäume in regelmäßigen Abständen auf Schäden und Erkrankungen untersuchen und im Falle des Verlustes der Standfestigkeit entfernen. Er kann die Kontrolle auch bei älteren Bäumen selbst durchführen; eine eingehende fachmännische Untersuchung ist erst dann zu veranlassen, wenn sich Schadenssymptome zeigen (z. B. abgestorbene Äste, braune oder trockene Blätter, Verletzungen der Rinde und sichtbarer Pilzbefall). Dies gilt auch für ältere Bäume, denn ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass von älteren (und i. d. R. auch alt werdenden) Bäumen eine schwerer zu erkennende Gefahr ausginge, existiert nicht. Im Übrigen lasse sich die Frage des Umfangs und der Intensität der erforderlichen Kontrollen nicht generell beantworten, es komme insoweit auch auf das Alter, den Zustand und den Standort an.
Hier hatte der vom Gericht eingeschaltete Sachverständige solche Indizien, die eine eingehende fachmännische Untersuchung nahegelegt hätten, nicht festgestellt.
Nachbarliche Duldungspflicht
Schließlich besteht auch kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch. Denn dies setzt voraus, dass von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Geht man hier jedoch davon aus, dass die Baumkronen allein infolge des Sturms als Naturereignis abgebrochen sind, bestand kein Zustand, der Gegenstand eines Beseitigungsanspruchs hätte sein können. Nachbarn sind vielmehr nach § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet, solche – gesunden – Bäume zu dulden.
(OLG Brandenburg, Urteil v. 22.10.2015, 5 U 104/13, r+s 2016 S. 41)