Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Werden Wertpapiere, die innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mit Verlust veräußert werden, am selben Tag in gleicher Art und Anzahl, aber zu unterschiedlichem Kurs wieder gekauft, liegt hierin kein Gestaltungsmissbrauch i.S.v. § 42 AO.
Sachverhalt
Die Gesellschafter einer vermögensverwaltenden GbR kauften im März 2000 börsennotierte Aktien zweier AG. Im Dezember 2000 verkauften sie diese Aktien mit Verlust, um am selben Tag die gleiche Anzahl von Aktien wieder zu kaufen. Das Finanzamt erkannte die Verluste wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht an. Das FG gab der Klage statt, weil es die Anforderungen des § 42 AO als nicht erfüllt ansah. Der BFH folgte dem.
Entscheidung
Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt, wer Wertpapiere binnen Jahresfrist anschafft und veräußert. Damit wird der objektive Tatbestand der Norm verwirklicht; dies ist unabhängig davon, ob kurze Zeit später gleichartige Wertpapiere wieder gekauft werden. Der Wiederkauf macht den Verkauf nicht rückgängig, sondern ist der erste Teilakt eines eventuell erneut in Gang gesetzten Steuertatbestands, der indes nur erfüllt wird, wenn die Wertpapiere wiederum binnen Jahresfrist veräußert werden. Der subjektive Tatbestand der Einkünfteerzielungsabsicht wird durch die verhältnismäßig kurze Jahresfrist in typisierender Weise objektiviert.
Die Frage, ob es missbräuchlich ist, wenn Wertpapiere veräußert und kurze Zeit später wieder angekauft werden, ist für börsennotierte Aktien (nur darum ging es hier) klar zu verneinen. Schließlich besteht ein Kursrisiko, das sich im Urteilsfall auch verwirklicht hat, denn die Verkaufs- und (Wieder-)Kaufpreise waren unterschiedlich. Deshalb wird das Tatbestandsmerkmal "Veräußerungsgeschäft" nicht nach § 42 Satz 2 AO beseitigt.
Wenn es dem Zweck des § 23 EStG entspricht, realisierte Wertänderungen in Gestalt von Veräußerungsgewinnen aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts der Einkommensteuer zu unterwerfen, stellt es keinen Gestaltungsmissbrauch dar, wenn gleichartige Wertpapiere kurz nach deren Veräußerung zu unterschiedlichen Preisen wieder erworben werden. Angesichts der Schwankungsbreite börsennotierter Wertpapiere und des daraus resultierenden Kursrisikos liegt dies insoweit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Es steht im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem Risiko er von ihm gehaltene Wertpapiere ankauft, verkauft und danach wieder ankauft. Bei dem Verkauf von Wertpapieren und dem anschließenden Wiederkauf gleichartiger Wertpapiere zu unterschiedlichen Ankaufs- und Verkaufspreisen handelt es sich um eigenständige und damit auch separat zu beurteilende Vorgänge.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 25.8.2009, IX R 60/07.