Leitsatz (amtlich)

Eine Abfindung, die ein angestellter Versicherungsvertreter von seinem Arbeitgeber für die Verkleinerung seines Bezirks erhält, kann eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG sein, die nach § 34 Abs. 1, 2 EStG tarifbegünstigt zu besteuern ist.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Alleinerbe seines Vaters (Steuerpflichtiger). Der Steuerpflichtige schloss am 22.11.1991 mit der L-Versicherungs AG (AG) einen Vertrag über seine Anstellung als Leiter der Geschäftsstelle A. Seine Vergütung setzte sich zusammen aus einem monatlichen Bruttogehalt, einer sog. Geschäftsbeteiligung sowie Barprovisionen und Reisekostenvergütungen. Zum 1.1.1993 beschloss die AG, den 1991 neu gegründeten Organisationsbereich E aus dem räumlich vom Steuerpflichtigen betreuten Gebiet auszugliedern und hierfür eine neue Niederlassung zu gründen. Für die teilweise Abtretung des Bestandes an den neu zu errichtenden Geschäftskreis, der für den Steuerpflichtigen mit einem erheblichen Substanzverlust verbunden war, erhielt der Steuerpflichtige im Streitjahr 1993 eine einmalige Abfindung von 730 000 DM. Damit sollten die künftig jährlich fortfallenden durchschnittlichen Einnahmen für die Zeit vom 1.1.1993 bis zum 31.12.2002 abgegolten werden. Der Steuerpflichtige begehrte, diese Abfindung nach § 34 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern. Dem folgte das Finanzamt nicht. Das FG gab der Klage statt[1]. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Entscheidungsgründe

  1. Die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG scheitert im Streitfall daran, dass das Rechtsverhältnis des Steuerpflichtigen mit der AG anlässlich der geographischen Neugliederung der Versicherungsbezirke nicht beendet wurde[2].
  2. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG können Zahlungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gewährt werden, steuerbegünstigte Entschädigungen sein. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG erfasst nicht nur den Ausgleich finanzieller Einbußen anlässlich der Beendigung eines Rechsverhältnisses, sondern auch Entschädigungen für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit und damit Gegenleistungen für den Verzicht auf eine mögliche Einkunfts-erzielung[3]. Die Vorschrift verlangt nur die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, nicht des Berufs. Allerdings ist nicht jede Entschädigung, die anlässlich einer (Änderungs-)Kündigung gezahlt wird, eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG. Wird ein Vertragsverhältnis beendet, so wird im Allgemeinen die Entschädigung für die entgangenen oder entgehenden Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, nicht aber "für" die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gezahlt[4].

Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass dem Steuerpflichtigen durch die räumliche Einschränkung des Bezirks untersagt wurde, in dem ausgegliederten Bezirksteil E seine Vertretertätigkeit weiterhin auszuüben. Hat ein Versicherungsunternehmen sein Absatzgebiet in Bezirke aufgeteilt und mit Versicherungsagenten besetzt, so ist es den Vertretern verboten, bezirksfremd tätig zu werden. Hierin kann der Verzicht auf eine mögliche künftige Einkunftserzielung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG liegen; denn ein nicht unwesentlicher Teil des Gehalts des Steuerpflichtigen war der Anteil am Netto-Abschlussprovisionsaufkommen. Dass er der Umgliederung letztlich zustimmte, ist unschädlich[5].

Das FG wird im zweiten Rechtsgang feststellen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Abfindung für die Nichtausübung der Tätigkeit im Bereich E bezahlt wurde. Dabei muss es insbesondere den Teil der Entschädigung, der auf entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG entfiel, und für den eine Steuerbegünstigung mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht kommt, ermitteln. Nur der Teil, der für die Nichtausübung der Tätigkeit als Versicherungsagent im ausgegliederten E-Gebiet bezahlt wurde, kann danach steuerbegünstigt sein.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 23.1.2001 – XI R 7/00

[1] Vgl. FG Köln, Urteil vom 13.12.1999,1 K5469/97, EFG 2000, S. 367
[3] Vgl. BFH-Urteil vom 12.6.1996, XIR 43/94, BStBl II1996, S. 516 = INF 1996, S. 605
[4] Vgl. ebenda
[5] Vgl. BFH-Urteil vom 2.4.1976, VIR 67/74, BStBl II 1976, S. 490

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