Alexander C. Blankenstein
Rein virtuelle Eigentümerversammlung
Auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel ist zu prüfen, welcher Stellenwert einer Präsenzversammlung der Wohnungseigentümer zukommt. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil v. 10.10.2014, V ZR 315/13 und BGH, Urteil v. 12.4.2019, V ZR 112/18) darf durch Beschlüsse auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel nicht in unentziehbare aber verzichtbare Rechte eingegriffen werden. Wie bereits ausgeführt, zählen zu diesen Rechten insbesondere das Teilnahme-, Rede- und Stimmrecht der Wohnungseigentümer. Diese Rechte kann ein Wohnungseigentümer im Fall einer rein virtuellen Wohnungseigentümerversammlung aber lediglich dann wahrnehmen, wenn er über die technische Ausstattung verfügt, die ihm eine Teilnahme ermöglicht und er auch über das technische Verständnis verfügt, etwa vorhandene Ausstattung zweckentsprechend zu nutzen bzw. einzusetzen. Voraussetzung für die Möglichkeit der Schaffung einer Rechtsgrundlage innerhalb der Gemeinschaft auf Durchführung rein virtueller Wohnungseigentümerversammlungen ist somit die Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer zum entsprechenden Beschlussantrag. So nicht sämtliche Wohnungseigentümer einem entsprechenden Beschluss zustimmen, kann demnach auch auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel keine rein virtuelle Wohnungseigentümerversammlung eingeführt bzw. durch entsprechende Regelung legitimiert werden. Allerdings ist auch bei Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer abschließend nicht sicher zu prognostizieren, wie ein Gericht im Fall der Fälle einer entsprechenden Beschlussmängelklage entscheiden würde.
Teilnahme an Präsenzveranstaltung auf elektronischem Weg
Ob dies insoweit auch für eine Regelung über die Ermöglichung der Teilnahme an Präsenzveranstaltungen auf elektronischen Weg gilt, wird maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängen, welchen Stellenwert man dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Wohnungseigentümerversammlungen beimisst. Wie bereits ausgeführt, haben die Wohnungseigentümer zwar das verständliche Interesse daran, dass ihre Angelegenheiten vertraulich eben im Kreis der Wohnungseigentümer behandelt werden und sie ihren Willen ohne äußere Einflüsse bilden können. Werden allerdings die bereits unter Abschnitt 1.1.3.3 erläuterten Voraussetzungen an Organisation und Durchführung der Ermöglichung einer Teilnahme auf elektronischem Weg erfüllt, geht es nicht mehr um eine fremde Einwirkung auf die Willensbildung der Wohnungseigentümer, sondern nur noch um das geheime "Mithören" oder "Mitschauen" gemeinschaftsfremder Dritter. Wie im Übrigen bei Präsenzveranstaltungen lässt sich dieser Gefahr niemals wirkungsvoll begegnen. Zumindest nach diesseitiger Auffassung dürfte auch nach bislang geltender Rechtslage die Möglichkeit zur Beschlussfassung über die Ermöglichung der Teilnahme an Präsenz-Versammlungen auf elektronischem Weg auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel bestehen. Allerdings kann dies abschließend nicht als sicher prognostiziert werden.
Inhalt der Gemeinschaftsordnung und Wortlaut der Öffnungsklausel sind entscheidend
Auf Grundlage einer allgemeinen Öffnungsklausel können entsprechende Beschlüsse aber auch nur dann gefasst werden, wenn die Öffnungsklausel in Verbindung mit dem Inhalt der Gemeinschaftsordnung diese Möglichkeit eröffnet. Enthält die Gemeinschaftsordnung keine Regelungen über Wohnungseigentümerversammlungen und erlaubt die Öffnungsklausel nur eine Änderung der Gemeinschaftsordnung mit bestimmtem Quorum, können auf Grundlage der Öffnungsklausel auch keine vom Gesetz abweichenden Regelungen über Eigentümerversammlungen beschlossen werden. Erlaubt die Öffnungsklausel in einem derartigen Fall jedoch auch die Änderung gesetzlicher Regelungen im abdingbaren Bereich, wäre eine Beschlussfassung wiederum möglich. Enthält die Gemeinschaftsordnung wie in aller Regel Bestimmungen über Wohnungseigentümerversammlungen unter Wiederholung des Gesetzeswortlauts und erlaubt sie nur ihre Abänderung, so können entsprechende Öffnungsklausel-Beschlüsse wiederum gefasst werden.