Abgrenzung
Die Gerichte müssen sich häufig mit der Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen beschäftigen. Abgrenzungsprobleme bestehen insbesondere, wenn Erblasser einen zeitlich gestreckten Übergang ihres Nachlasses im Todesfall wünschen und dies nicht "juristisch sauber" formulieren. Denn neben einer Vor- und Nacherbschaft kommen auch ein Vor- und Nachvermächtnis oder lediglich die Einräumung eines Nießbrauchs zugunsten der Bedachten in Betracht. Dazu folgender Fall:
Unklares Testament?
Der Erblasser hatte ein von seiner vorverstorbenen Ehefrau handschriftlich verfasstes Testament mit unterschrieben, das folgenden Inhalt hat: "Mein Berliner Testament. Ich schreibe also das Testament neu, weil ich alleine im Grundbuch eingetragen bin und mein Mann nicht. Es gilt aber lang lebe, lang erbe. (…) Die Kinder bekommen nach seinem Tode das Erbe. – Eher nicht. Das Haus hat 2 Wohnungen, für jedes Kind eine Wohnung. Meine Kinder sind A, geb. (…), B, geb. (…). Ich möchte, dass seine Tochter (…) von B nach seinem Tode die Wohnung bekommt und nicht seine Frau. (…) Wenn A stirbt, möchte ich, dass meine Cousinen in Amerika seine Haushälfte bekommen. (…)".
Beide Ehegatten gaben das Testament in einem Umschlag mit der Aufschrift "Unser Testament" zur amtlichen Aufbewahrung. Nach dem nachverstorbenen Vater beantragte ein Kind einen Erbschein des Inhalts, dass der Vater von den beiden Söhnen zu je ½ beerbt worden sei. Der Nachlasswert bestand fast ausschließlich aus dem Grundvermögen. Das Nachlassgericht lehnte die Erbscheinserteilung ab, da es in den Anordnungen eine Vor- und Nacherbschaft im Schlusserbfall – und keine unbedingte Schlusserbeinsetzung der beiden Kinder – sah. Auch das im Wege der Beschwerde angerufene OLG Schleswig folgte dieser Auslegung.
Auslegung
Dadurch, dass beide Erblasser das Testament unterschrieben und auf den Umschlag "Unser Testament" geschrieben haben, ist es als gemeinschaftliches Testament anzusehen. Auch die verwendete Überschrift "Berliner Testament" zeigt, dass gemeinschaftliche Regelungen bezüglich des Nachlasses getroffen wurden. Neben der für den ersten Erbfall maßgeblichen gegenseitigen Erbeinsetzung sind auch Anordnungen für den Tod nach dem Längstlebenden gemeinsam verfügt worden. Diese sind dergestalt auszulegen, dass die beiden Kinder Vorerben zu je ½ des Nachlasses sowie eine Enkelin zu ½ und weitere Cousinen zu je 1/6 als Nacherben berufen sind. Hierfür spricht im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 2084 BGB bereits der Wortlaut des Testaments. "Das Erbe" und "bekommen" in Verbindung mit den Formulierungen "nach seinem Tod" und "eher nicht" zeigen den zeitlich gestreckten Nachlassübergang, der seitens der Erblasser gewollt war. Dass die Begriffe Vor- und Nacherben nicht ausdrücklich verwendet wurden, ist unschädlich, denn dieses Rechtsinstitut kann im Wege der Auslegung ermittelt werden. Da die Immobilie fast den gesamten Nachlass ausmacht, ist eine Gesamtverfügung über "das Erbe" getroffen worden, sodass § 2087 Abs. 1 BGB eingreift; dieser schließt § 2087 Abs. 2 BGB aus. Ein Vor- und Nachvermächtnis im Schlusserbfall ist nicht verfügt (§ 2177 BGB).
Fazit
Die Auslegung der Erbeinsetzung nach dem Längstlebenden in einem privatschriftlichen Ehegattentestament als Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge kommt gerade dann in Betracht, wenn der Grundbesitz den wesentlichen Nachlass ausmacht und dieser Grundbesitz nach dem Willen der Eheleute nach dem Tod ihrer als Erben des Längstlebenden eingesetzten Kinder auf dritte Verwandte übergehen soll.
(OLG Schleswig, Beschluss v. 23.1.2015, 3 Wx 110/14, dazu NJW-Spezial 2015 S. 392)