Leitsatz

Die steuerrechtliche Bindungswirkung einer sog. tatsächlichen Verständigung setzt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31.7.1996, XI R 78/95, BStBl II 1996, S. 625 = INF 1997, S. 25) kumulativ voraus, dass

  • sich diese Vereinbarung auf Sachverhaltsfragen – nicht auf Rechtsfragen – bezieht,
  • der Sachverhalt die Vergangenheit betrifft,
  • die Sachverhaltsermittlung erschwert ist,
  • auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Entscheidung zuständiger Amtsträger beteiligt ist und
  • die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Eine tatsächliche Verständigung zwischen einer dritten Person und der für ihre Besteuerung zuständigen Finanzbehörde, deren Gegenstand die Übernahme von Steuerschulden der Steuerpflichtigen durch die dritte Person ist, bindet die für die Besteuerung der begünstigten Steuerpflichtigen zuständigen Finanzbehörden nicht, wenn letztere am Zustandekommen der tatsächlichen Verständigung nicht beteiligt waren.

 

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige ist als selbstständiger Versicherungsvertreter für die X-AG (X) tätig. Die X gewährte ihren selbstständigen Versicherungsvertretern Rabatte und Zuschüsse zu den bei ihr abgeschlossenen Krankenversicherungen. Diese geldwerten Vorteile waren bei den Versicherungsvertretern als Betriebseinnahmen zu erfassen. Der Steuerpflichtige deklarierte die Zuwendungen in seinen Steuererklärungen nicht.

1995 trafen die X, deren Betriebsfinanzamt, die Zentrale Außenprüfungsstelle für Lohnsteuer sowie das für die X zuständige Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung eine tatsächliche Verständigung, wonach die X die Steuerausfälle für ihre selbstständigen Versicherungsvertreter dergestalt übernahm, dass der körperschaftsteuerpflichtige Gewinn und der Gewerbeertrag der X entsprechend erhöht wurden. Das für die Besteuerung des Versicherungsvertreters zuständige Finanzamt sah sich an diese tatsächliche Verständigung nicht gebunden und erfasste daher die ihm von der X gewährten Rabatte und Zuschüsse als Betriebseinnahmen. Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab. Die Revision des Steuerpflichtigen blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Im Streitfall fehlte es jedenfalls an einer Beteiligung eines für die Besteuerung des Steuerpflichtigen zuständigen Amtsträgers des Finanzamts. Die beteiligten Finanzbeamten sind auch nicht "als Vertreter der Finanzbehörden der Bundesrepublik Deutschland" aufgetreten. Denn auf Seiten des Finanzamts kommt beim Abschluss tatsächlicher Verständigungen eine Vertretung nicht in Betracht[1]. Darüber hinaus war auch der Steuerpflichtige nicht an der tatsächlichen Verständigung beteiligt.

Überdies würde eine Erstreckung der hier getroffenen tatsächlichen Verständigung auf Dritte (u.a. den Steuerpflichtigen) die Regelungen des GG über die Steuerverteilung verletzen[2].

Des Weiteren ist nicht erkennbar, inwiefern ein schwierig zu ermittelnder Sachverhalt vorgelegen haben soll. Denn die Namen der Versicherungsvertreter waren der X bekannt. Auch die Höhe der auf die einzelnen Versicherungsvertreter entfallenden Betriebseinnahmen dürfte anhand der bei der X vorhandenen Vertrags- und Buchhaltungsunterlagen ohne weiteres zu ermitteln gewesen sein.

Schließlich stehen auch die Grundsätze von Treu und Glauben sowie der Verwirkung einer Geltendmachung der streitigen Steueransprüche nicht entgegen.

 

Praxishinweis

Offensichtlich war keinem der an der tatsächlichen Verständigung beteiligten Personen – den Vertretern der X und den Amtsträgern der an der Vereinbarung mitwirkenden drei Finanzbehörden – aufgefallen, dass die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Voraussetzungen für die Wirksamkeit und Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung im Urteilsfall aus mehreren Gründen nicht vorlagen.

Das Missliche an der Sache ist insbesondere, dass die X auf der Grundlage der sich nunmehr als unwirksam erweisenden tatsächlichen Verständigung 6,88 Mio. DM an ihr Betriebsfinanzamt gezahlt hat. Sie muss nun sehen, wie sie ihr Geld zurück erhält. Dazu bedarf es zunächst einer Änderung der offenbar bestandskräftigen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuer-(Mess)bescheide. Grundlage hierfür dürfte, soweit die Versicherungsvertreter die Vorteile tatsächlich versteuert haben, § 174 (Abs. 1) AO sein.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 7.7.2004, X R 24/03

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