Leitsatz

Scheitert die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen allein an der in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. normierten Pflicht, diesbezüglich ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abzustellen, sind die Umsätze dieser Einrichtung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.

 

Sachverhalt

Nachdem für die Streitjahre 1993 und 1994 geltenden § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG waren steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb (…) der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn a) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden (was im Streitfall ausscheidet) oder e) (…) im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens 2/3 der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

Die steuerpflichtige examinierte Krankenschwester pflegte ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbstständig ambulant. Sie wurde zum 1.10.1993 zu den Krankenkassen zugelassen. Da 68 % ihrer Patienten Privatzahler waren, versagte das Finanzamt für 1993 und 1994 der Steuerpflichtigen die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F.

Nach einem vorangehenden Urteil des EuGH v. 15.11.2012 (C-174/11) hat der BFH nun entschieden, dass sich die Steuerfreiheit der Steuerpflichtigen – statt aus § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. – direkt ausArt. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) ergibt, da

  • die ambulante Pflege der Steuerpflichtigen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind und
  • es sich bei der Steuerpflichtigen "um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung" handelt.

Wird durch die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. normierte Rückschau auf das Vorjahr wegen der 2/3-Grenze die Anerkennung des "sozialen Charakters" der Steuerpflichtigen für den Streitzeitraum, in dem sie dem Grunde nach Umsätze i.S.d. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ausführte, automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen, bietet hierfür Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG keine Grundlage. Mit der 2/3-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. wäre die Gleichbehandlung von privaten und öffentlichen Einrichtungen mit dem Grunde nach gleichartiger Tätigkeit nicht gewährleistet.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil v. 19.3.2013, XI R 47/07.

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