Leitsatz
- Umsätze aus Legasthenie-Behandlungen sind grundsätzlich nicht nach § 4 Nr. 14 UStG 1999 steuerfrei.
- Umsätze aus Legasthenie-Behandlungen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erbracht und gegenüber dem Träger für die betreffende Sozialleistung abgerechnet werden, sind nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.
Sachverhalt
L, eine Legasthenie-Therapeutin, wurde von einem Jugendamt im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder mit der ambulanten Legasthenie-Therapie beauftragt. Sie war als Deutschlehrerin examiniert und in Pädagogik promoviert, war geprüfte psychologische Beraterin und hatte sich als Legasthenie-Therapeutin fortgebildet. Eine Kassenzulassung nach § 124 SGB V hatte L nicht. Legasthenie-Therapien werden von gesetzlichen Krankenkassen nicht und von privaten Kassen nur teilweise bezahlt.
Im Streitjahr 2000 hatte L für Legasthenie-Therapien von der öffentlichen Hand rund 90000 DM eingenommen, von privater Seite rund 24000 DM. Anders als das Finanzamt sah L sämtliche Leistungen als steuerfrei an. Das FG folgte ihr. Es meinte im Wesentlichen, Legasthenie sei eine Krankheit, die Therapeutin führe eine arztähnliche Tätigkeit nach § 4 Nr. 14 UStG aus. Soweit die Leistungen von den Jugendämtern vergütet würden, seien sie unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung als Heilbehandlung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie umsatzsteuerfrei zu stellen. Das Finanzamt legte Revision ein.
Entscheidung
Der BFH führt aus, dass die Leistungen der Therapeutin weder nach Nr. 15, noch nach Nr. 18, noch nach Nr. 25 des § 4 UStG steuerbefreit sind. Insbesondere hat L mit der Legasthenie-Therapie keine Heilbehandlung i.S.v. § 4 Nr. 14 UStG erbracht. Legasthenie ist, auch wenn sie im Einzelfall mit einer Krankheit verbunden sein kann, grundsätzlich keine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinn. Behandlungsziel ist vielmehr die schulische Ausbildung und weitere berufliche Qualifikation.
Das FG hat aber im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben. Die Therapeutin kann sich für ihre an das Jugendamt erbrachten Leistungen unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie berufen, weil eine entsprechende Steuerbefreiung im UStG 1999 fehlt. Nach der Bestimmung sind befreit: "die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedsstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen."
Zum einen hat die Therapeutin die Legasthenie-Behandlungen für Kinder und Jugendliche aufgrund entsprechender Vereinbarung mit einem Träger der Sozialversicherung, dem Jugendamt, im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erbracht. Diese gegenüber dem Jugendamt erbrachten Leistungen sind danach eng mit der sozialen Fürsorge verbunden. Zum anderen erfüllt die Therapeutin den Begriff "Einrichtung". Die Anerkennung eines Unternehmers als Einrichtung mit sozialem Charakter kann auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Maßgebend ist insoweit, dass es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren.
Praxishinweis
Die von der Sozialgerichtsbarkeit und der Ertragsteuerrechtsprechung zur außergewöhnlichen Belastung vertretene Auffassung, dass Legasthenie grundsätzlich nicht als Krankheit anzusehen ist, wirkt sich umsatzsteuerrechtlich nicht so drastisch aus. Sie wird durch die Befreiungsmöglichkeit nach der 6. EG-Richtlinie weitgehend ausgeglichen.
Allerdings wurden die "privat abgerechneten Legastheniebehandlungen" nicht in die Befreiung einbezogen. Nach der Urteilsbegründung müsste es sich um Leistungen gehandelt haben, für die "ihrer Art nach die Kosten nicht von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren."
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 18.8.2005, V R 71/03