Leitsätze (amtlich)
- Erfolgt ein Umzug aus Anlass der Eheschließung von getrennten Wohnorten in eine gemeinsame Familienwohnung, so ist die berufliche Veranlassung des Umzugs eines jeden Ehegatten gesondert zu beurteilen.
- Steht bei einem Umzug eine arbeitstägliche Fahrzeitersparnis des Arbeitnehmers von mindestens einer Stunde fest, so kommt dem Umstand, dass der Umzug im Zusammenhang mit einer heiratsbedingten Gründung eines gemeinsamen Haushalts steht, grundsätzlich keine Bedeutung mehr zu (Fortführung des BFH-Urteils vom 22.11.1991, VI R 77/89, BStBl II 1992, S. 494 = INF 1992, S. 305).
Sachverhalt
Die Kläger heirateten im Streitjahr 1996. Sie erzielten beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger wohnte in N und arbeitete in D, die Klägerin wohnte in I und arbeitete in S. Im Mai 1996 bezogen die Kläger ein Haus in S, das sie im April 1995 erworben hatten. In ihrer gemeinsamen ESt-Erklärung für 1996 machten der Kläger Umzugskosten von 1 259 DM und die Klägerin von 1 578 DM als Werbungskosten geltend. Zur Begründung führten sie an, die tägliche Arbeitszeit zur jeweiligen Arbeitsstätte habe sich erheblich verkürzt. Das Finanzamt erkannte die Umzugskosten mangels beruflicher Veranlassung nicht als Werbungskosten an, da aufgrund der Heirat und des Umzugs in die gemeinsame Wohnung die private Lebensführung betroffen sei. Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Die berufliche Veranlassung der beiden Einzelumzüge des Klägers und der Klägerin ist gesondert zu beurteilen. Dies entspricht dem Grundsatz der Individualbesteuerung der Eheleute, wonach die Einkünfte eines jeden Ehegatten - ungeachtet der Möglichkeit der Zusammenveranlagung - getrennt zu ermitteln sind.
Umzugskosten können Werbungskosten sein, wenn der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen. Eine derartige berufliche Veranlassung hat der BFH z.B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn - auch ohne berufliche Veränderung - durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen. Auf die Motive des Steuerpflichtigen für den Umzug in eine bestimmte Wohnung ist dann nicht mehr abzustellen, wenn die berufliche Veranlassung des Umzugs nach objektiven Kriterien eindeutig feststeht. Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Motive - wie hier die gemeinsame heiratsbedingte Haushaltsgründung - im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten. Zum anderen enthält das Erfordernis einer mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis eine die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung. Der damit verbundene Zweck der Vereinfachung und Praktikabilität in der Rechtsanwendung wäre beeinträchtigt, wenn private Motive bei einem sonst typischerweise beruflich veranlassten Umzug wieder Bedeutung erlangten. Die Auffassung des Senats vermeidet überdies ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen.
Die Sache wird an das FG zurückverwiesen. Der Vorentscheidung können keine nachvollziehbaren Feststellungen zur Fahrzeitverkürzung entnommen werden. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, dass die Verkürzung der Fahrtstrecke zwar ein wesentliches, jedoch nicht das alleinige Kriterium für eine Wegezeitverkürzung darstellt. Das FG wird gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob beim Kläger die nach dem Umzug verbleibende Wegezeit zur Arbeitsstätte als im Berufsverkehr normal angesehen werden kann.
Link zur Entscheidung
BFH vom 23.3.2001 – VI R 175/99