Leitsätze (amtlich)

  1. Hat der Steuerpflichtige eine Leistung, die er außerhalb seines Unternehmens erbracht hat, als steuerpflichtigen Umsatz behandelt, indem er sie dem Leistungsempfänger mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat, und hat er die Steuer erklärungsgemäß an das FA abgeführt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt wird, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist (Anschluss an EuGH-Urteil vom 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, UR 2000, S. 470).
  2. Die Berichtigung der Steuer kann im Billigkeitsverfahren gemäß § 227 AO 1977 erfolgen.
 

Sachverhalt

Der Kläger ist Landwirt und stellte 1991 dem Erwerber eines von ihm vermittelten fremden Grundstücks eine Provision von 400 000 DM zuzüglich 56 000 DM USt in Rechnung. Die USt führte er aufgrund der USt-Voranmeldung III/1991 an das Finanzamt ab. Die USt-Jahresveranlagung 1991 ist bestandskräftig. Der Leistungsempfänger zog zunächst die ihm in Rechnung gestellte USt als Vorsteuer ab. Mit Steuerbescheid vom 18.7.1994 wurde der Vorsteuerabzug rückgängig gemacht; der Leistungsempfänger führte die aufgrund dieses Steuerbescheids festgesetzte USt an das für ihn zuständige Finanzamt ab.

Der Kläger beantragte daraufhin im Juni 1996 den Erlass der USt aus sachlichen Billigkeitsgründen. Er berichtigte die von ihm ausgestellte Originalrechnung und erstattete dem Leistungsempfänger den USt-Anteil zuzüglich Zinsen. Das Finanzamt lehnte den Erlassantrag ab. Das FG wies die Klage ab[1]. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt ist verpflichtet, die USt zu erstatten.

  1. Der Kläger schuldete die für seine Vermittlungsleistung in Rechnung gestellte Steuer nach § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG 1991. Er war zum gesonderten Ausweis der USt nicht berechtigt, da er das Grundstück nicht im Rahmen seines Unternehmens, sondern aufgrund einer privaten Gelegenheit vermittelt hat.
  2. Nach § 227 Abs. 1 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder z.T. erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Die Einziehung der nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Steuer war unbillig, nachdem der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden war.

Der Kläger hatte die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, da er den in der verwendeten Rechnung gesondert ausgewiesenen Betrag an das Finanzamt entrichtet hatte. Unter diesen Umständen verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist[2]. Die Berichtigung der Steuer kann im Billigkeitsverfahren gemäß § 227 AO erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im Streitfall - die unrichtige Rechnung erst später als im Jahr (Besteuerungszeitraum) der Rechnungsausgabe berichtigt wurde. Dabei kann dahinstehen, ob eine Berichtigung der USt-Veranlagung für das Jahr 1991 (Jahr der Leistung), 1994 (Jahr der Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger) oder 1996 (Jahr der Rechnungsberichtigung) nach der zur Zeit geltenden Gesetzeslage möglich (gewesen) wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine falsche Steuerfestsetzung jedenfalls dann zu einem Billigkeitserlass führen, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren[3]. Im Streitfall sind eindeutig und offensichtlich die Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Steuer berichtigt werden muss. Dem Kläger war es unzumutbar, gegen die USt-Bescheide für 1991, 1994 oder 1996 zu klagen, da die Steuerfestsetzungen - im streitigen Punkt - dem Gesetzeswortlaut entsprechen, das EuGH-Urteil vom 19.9.2000[4] seinerzeit noch nicht ergangen war und es Aufgabe des Gesetzgebers ist, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Umsetzung des zitierten EuGH-Urteils zu schaffen. Solange dies nicht geschehen ist, kann ein Steuerpflichtiger nicht darauf verwiesen werden, er müsse seine Rechte im Steuerfestsetzungsverfahren mit ungewissem Ausgang geltend machen. Das Finanzamt ist demnach verpflichtet, die vom Kläger gemäß § 14 Abs. 3 UStG geschuldete und entrichtete USt zu erstatten (sog. Ermessensreduzierung auf Null).

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 17.5.2001 – V R 77/99

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