Leitsatz (amtlich)

Eine Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 393 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 führt im Besteuerungsverfahren zu keinem Verwertungsverbot.

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht, so dass die Steuern zu niedrig festgesetzt wurden. Im Rahmen einer Betriebsprüfung ergaben sich Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Angaben. Der Prüfer fragte beim Kläger nach, ohne ihn nach § 393 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AO darüber zu belehren, dass er im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nicht gezwungen werden dürfe, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen. Der Kläger berichtigte seine Angaben. Das daraufhin gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO, § 398 AO eingestellt, da die Angaben mangels Belehrung einem Verwertungsverbot unterlägen. Der Kläger berief sich auch im Besteuerungsverfahren auf ein Verwertungsverbot. Das Finanzamt folgte dem nicht und erließ geänderte Steuerbescheide. Das FG gab den dagegen gerichteten Klagen statt[1]. Die Revisionen führten zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG.

 

Entscheidungsgründe

Zieht das Finanzamt einen Steuerpflichtigen zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts heran[2], ohne ihn zuvor nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO belehrt zu haben, unterliegen die infolge der Mitwirkung des Steuerpflichtigen festgestellten Tatsachen grundsätzlich keinem steuerrechtlichem Verwertungsverbot. Es kann offen bleiben, ob im Streitfall bei Beginn der Außenprüfung Anlass zu einer Belehrung nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO bestanden hat und wie bei verbotenen Vernehmungsmethoden[3] zu entscheiden wäre.

Ein Verwertungsverbot für den Fall, dass die Belehrung unterbleibt, ordnet das Gesetz nicht an. Insoweit unterscheidet sich § 393 Abs. 1 AO von vergleichbaren Vorschriften, z.B. § 393 Abs. 2 AO, § 136a StPO oder § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO. Ein Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren bei einer Verletzung des § 393 Abs. 1 Satz 4 AO ergibt sich auch nicht aus allgemeinen verfassungsrechtlichen, insbesondere rechtsstaatlichen Grundsätzen. Vor allem folgt aus der Änderung der Rechtsprechung des BGH, die nunmehr ein strafprozessuales Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung bejaht[4], kein steuerrechtliches Verwertungsverbot.

Nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO sind im Be-steuerungs- und im Strafverfahren die für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften anzuwenden. Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren stehen damit grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander[5]. Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist folglich im Steuerstrafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften, gegebenenfalls unter Einbeziehung vorrangiger Verfassungsgrundsätze zu beantworten. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht[6]. Es gibt daher auch kein allgemeines steuerrechtliches Verwertungsverbot aufgrund einer "Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung". Aus dem Zweck des § 393 Abs. 1 AO lässt sich ein steuerrechtliches Verwertungsverbot für den Fall der unterlassenen Belehrung nicht ableiten. § 393 AO ist in erster Linie eine Vorschrift des Straf-, nicht des Besteuerungsverfahrens. Im Besteuerungsverfahren bleibt der (möglicherweise) einer Straftat Verdächtige sogar nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens rechtlich zur (wahrheitsgemäßen) Mitwirkung verpflichtet. Folglich kann aus der Erfüllung dieser Verpflichtung kein steuerrechtliches Verwertungsverbot resultieren. Ein anderes Ergebnis würde zudem den verfassungsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Belastungsgleichheit verletzen.

Im zweiten Rechtsgang wird das FG nunmehr in tatsächlicher Hinsicht feststellen müssen, ob im Hinblick auf die Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.01.2002, XI R 10, 11/01

[1] Vgl. FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.12.2000, V 996/98, EFG 2001, S. 252
[3] Vgl. § 136a StPO
[4] Vgl. BGH-Urteil vom 27.2.1992, 5 StR 190/91, NJW 1992, S. 1463

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