Leitsatz

  1. Eine dem FG elektronisch übermittelte Klagerücknahme musste im Jahr 2004 nach dem seinerzeit geltenden § 77a FGO a.F. nicht zwingend mit einer elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen sein.
  2. Eine Klagerücknahme ist grundsätzlich unwiderruflich. Das gilt auch dann, wenn die Klagerücknahme gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO nur mit Einwilligung des Beklagten möglich ist und der Beklagte diese Einwilligung noch nicht erteilt hat.
 

Sachverhalt

Ein Rechts- und Betriebswirt klagte gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 1998. Nach einem Erörterungstermin erklärte er unter einem der Aktenzeichen, er nehme die Klage zurück. Das Schreiben vom Juli 2004 wurde dem FG per E-Mail ohne elektronische Signatur übermittelt. Der Kläger hatte dem FG schon zuvor nicht von ihm eigenhändig unterschriebene und mit einer elektronischen Signatur versehene Schriftsätze elektronisch zugeleitet.

Das FG stellte das Verfahren (insgesamt) ein. Darauf erklärte der Kläger, die Rücknahme sei nur eingeschränkt erfolgt, hilfsweise fechte er seine Rücknahmeerklärung wegen Irrtums an; überdies sei sie gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO unwirksam, weil sie bei einem Verzicht auf mündliche Verhandlung nur mit Einwilligung des Finanzamts möglich sei, die dieses nicht erteilt habe. In der darauf durchgeführten mündlichen Verhandlung hob das FG seinen Einstellungsbeschluss auf. Das Finanzamt erklärte, es stimme der Klagerücknahme zu. Das FG stellte durch Urteil fest, dass die Klage mit Schriftsatz vom Juli 2004 für alle drei Jahre zurückgenommen worden ist.

Mit der Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, eine wirksame Klagerücknahme liege nicht vor, weil nach § 126a BGB und § 77a FGO bei einem elektronische Dokument an Stelle der eigenhändigen Unterschrift zwingend eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich sei, die hier fehle.

 

Entscheidung

Die Revision hatte keinen Erfolg. Zur Wirksamkeit der ohne "qualifizierte Signatur" elektronisch übermittelten Rücknahmeerklärung führt der BFH aus:

Die Klagerücknahme im Juli 2004 war nach dem zu diesem Zeitpunkt noch geltenden § 72 Abs. 1 FGO wirksam. Eine Klage muss grundsätzlich schriftlich zurückgenommen werden. Diesen Anforderungen genügt die Rücknahmeerklärung per E-Mail in einer für die Bearbeitung durch das FG geeigneten Form. Eine Klagerücknahme ist eine "Erklärung" i.S. des § 77a FGO. Die Vorschrift war im Streitfall noch anwendbar. Sie wurde erst zum 1.4.2005 aufgehoben und durch § 52a FGO ersetzt. Nach ihr soll die verantwortliche Person das Dokument mit einer qualifizierten Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Deren Fehlen war im Streitfall unerheblich. Die "Sollvorschrift" war eine bloße Ordnungsvorschrift. Der gegenteiligen Auffassung, das "soll" sei als "muss" zu verstehen, folgt der BFH nicht. Das ergibt bereits der Wortlaut der Vorschrift.

§ 126a BGB, wonach der Aussteller der Erklärung seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen muss, wenn die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden soll, ist nicht einschlägig. Die Vorschrift betrifft Willenserklärungen.

Zur Unwiderruflichkeit der Klagerücknahme vor (erforderlicher) Einwilligung des Finanzamts führt der BFH aus: Der Kläger war an seine Erklärung über die Klagerücknahme gebunden, solange die nach § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO erforderliche Einwilligung des Finanzamts noch nicht versagt war. Der Grundsatz der Unwiderruflichkeit einer Prozesserklärung gilt auch in diesem Fall. Der BFH folgt nicht der gegenteiligen Auffassung, sie könne in solchen Fällen wirksam widerrufen werden. Die in den Fällen des § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO erforderliche Einwilligung dient ausschließlich dem Interesse des Finanzamts an einer gerichtlichen Entscheidung bei einem bereits weit fortgeschrittenen Prozessstadium. Die Vorschrift dient mithin dem Schutz des Beklagten und nicht dem Schutz des Klägers. Die Rechte des Klägers sind daher unabhängig davon, ob eine Einwilligung des Beklagten erforderlich ist oder nicht, die gleichen.

 

Praxishinweis

§ 72 Abs. 1 Satz 3 FGO, wonach die Einwilligung als erteilt gilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit der Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird, ist erst am 1.9.2004 in Kraft getreten und seither für Verfahren zu beachten.

Die Entscheidung zur "Unerheblichkeit" der qualifizierten Signatur betrifft nur die Rechtslage zu § 77a FGO. Die Vorschrift galt mit Wirkung vom 1.8.2001 bis 31.3.2005. Seit 1.4.2005 gilt § 52a FGO, der die qualifizierte elektronische Signatur zwingend verlangt.

Die Ausführungen zur Unwiderruflichkeit einer Klagerücknahme – gleich ob in Fällen mit oder ohne Erfordernis der Einwilligung des Finanzamts – gelten generell ohne zeitliche Beschränkungen.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 26.10.2006, V R 40/05

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