Leitsatz
Dem Großen Senat des BFH werden gemäß § 11 Abs. 3 und 4 FGO die folgenden Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
- Kann der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlust bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen?
- Falls die 1. Rechtsfrage bejaht wird: Steht im Falle einer Erbengemeinschaft der Abzug nur demjenigen zu, der die Einkunftsquelle(n) fortführt, die den Verlust verursacht hat (haben)? Gelten für den Fall einer Sondererbfolge in die Verlust verursachende Einkunftsquelle Besonderheiten?
Sachverhalt
Landwirt L ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 EStG. Sein 1983 verstorbener Vater hatte ihn testamentarisch zum alleinigen Hoferben bestimmt. Der Erbteil des L am hoffreien Vermögen betrug 10 %. Die restlichen Erbteile fielen auf seine Mutter und vier Geschwister. Das Finanzamt ließ von den dem Erblasser in den Jahren 1980 bis 1982 entstandenen Verlusten lediglich 10 % bei der Einkommensteuerveranlagung 1986 des L zum Abzug zu. Das FG wies die Klage, mit der L geltend machte, ihm als Hoferben stünde der Verlust seines Vaters allein und in voller Höhe zu, mit der Begründung ab, dass der Verlustabzug nicht vererblich sei.
Entscheidung
Der XI. Senat des BFH ist ebenfalls der Auffassung, dass der Verlustabzug nicht vererbt werden kann. Er hält die dogmatischen und systematischen Einwände gegen den Übergang des Verlustabzugs auf den Erben für so schwerwiegend, dass er die bisherige Rechtsprechung aufgeben will. Für die Vererblichkeit des Verlustabzugs gebe es weder eine Rechtsgrundlage noch stehe eine solche mit den tragenden Prinzipien des Einkommensteuerrechts in Einklang. Insbesondere lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 10d EStG eine Aufwandsübertragung vom Erblasser auf den Erben ableiten. Die Vorschrift ziele darauf ab, die Besteuerung periodenübergreifend an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten und einer mehrjährigen Besteuerung anzunähern. Sie sei daher personenbezogen auszulegen und ermögliche lediglich die Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung. Das Einkommensteuerrecht beruhe auf den Grundsätzen der Individualbesteuerung und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen. Aufwendungen und Verluste Dritter könnten nicht geltend gemacht werden. Die vom I. Senat für das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung aufgeführten Argumente teilt der XI. Senat nicht. Rechtssicherheit und Vertrauen könnten nur durch eine als richtig erkannte, nicht aber durch eine seit langem umstrittene Rechtsprechung gewährleistet werden. Eine Überbesteuerung lasse sich nur beim Erblasser selbst korrigieren. Eine Steuerentlastung beim Erben beseitige eine Überbesteuerung des Erblassers nicht.
Praxishinweis
Die Vorlage hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Zunächst wollte der I. Senat des BFH die – vor allem in der Literatur, aber auch von den Finanzgerichten – kritisierte Rechtsprechung aufgeben, wonach beim Erblasser nicht ausgeglichene Verluste beim Erben abgezogen werden können. Er hatte deshalb eine entsprechende Divergenzanfrage beim IV., VIII. und XI. Senat gestellt. Diese drei Senate stimmten der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung zu. Anschließend besann sich der I. Senat aber anders und entschied, dass er vor allem aus Gründen der "Verlässlichkeit der Rechtsordnung" an der bisherigen Rechtsprechung festhalte. Darauf richtete der XI. Senat die gleiche Divergenzanfrage an den I. und den VIII. Senat. Beide Senate stimmten der Abweichung nicht zu. Mit dem Vorlagebeschluss des XI. Senats ist die umstrittene Rechtsfrage nunmehr auf Umwegen zum Großen Senat gelangt.
Bei dem im Streitfall vererbten Betrieb, in dem die Verluste des Erblassers entstanden waren, handelt es sich um einen Hof, der nach der Höfeordnung vererbt worden ist. Deshalb bilden der Hof und das hoffreie Vermögen zwei Nachlassteile, die zum einen auf den Hoferben und zum anderen auf die Erbengemeinschaft übergegangen sind. Falls der Große Senat die Vererblichkeit des Verlustabzugs bejahen sollte, wird er darum die weitere Frage beantworten müssen, ob der Verlustabzug in voller Höhe dem Hoferben L zusteht oder ob L den Verlust nur anteilig abziehen kann und wie dieser Anteil zu ermitteln ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Vorlegungsbeschluss vom 28.07.2004, XI R 54/99