Leitsatz

Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 39b Abs. 3 Satz 9, § 34 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 2, § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, S. 402 – EStG n.F.) mit dem GG vereinbar sind, soweit (Entlassungs-)Entschädigungen, die nach Beschlussfassung des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreformvom 29.10.1997 (BGBl I 1997, S. 2590) und vor Zuleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum StEntlG 1999/2000/2002 an den Bundesrat (20.11.1998) vereinbart und nach dem 31.12.1998 ausgezahlt wurden, mit einer höheren Einkommensteuer belegt werden als nach dem im Zeitpunkt der Vereinbarung der Entschädigung geltenden Einkommensteuerrecht; bejahendenfalls, ob dies auch gilt, soweit nach diesen Vorschriften Entschädigungen erfasst werden, die im Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 bereits dem Steuerpflichtigen zugeflossen waren.

 

Sachverhalt

Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers wurde auf Veranlassung des Arbeitgebers durch Aufhebungsvereinbarung vom 24.6.1998 zum 31.3.1999 gegen Zahlung einer Abfindung von 274 109 DM beendet. Die Abfindung – abzüglich der für den steuerpflichtigen Teil einbehaltenen Lohnsteuer in Höhe des halben Steuersatzes sowie des Solidaritätszuschlags – floss dem Kläger am 30.3.1999 zu.

Nach In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999, verkündet am 31.3.1999, im Folgenden "EStG n.F.", erstattete der vormalige Arbeitgeber dem Finanzamt Anzeige über nicht durchgeführten Lohnsteuerabzug. Das Finanzamt erließ darauf gegenüber dem Arbeitnehmer einen Bescheid über die Festsetzung von nachzufordernder Lohnsteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) für 1999 über 10686,09 DM. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Mit seiner Revision rügt der Arbeitnehmer die Verfassungswidrigkeit der Änderung des Steuertarifs[1], soweit hiervon bereits abgeschlossene Verträge erfasst würden.

 

Entscheidung

Der BFH hält die rückwirkende Anwendbarkeit der Regelungen in den § 39b Abs. 3 Satz 9, § 34 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 2, § 52 Abs. 47 EStG n.F. für verfassungswidrig. Die hinsichtlich der streitigen Entschädigung entstehende Lohnsteuer wird wie folgt berechnet: Der Arbeitgeber hat zunächst den voraussichtlichen Jahresarbeitslohn ohne den sonstigen Bezug festzustellen[2] und anschließend die Jahreslohnsteuer für den maßgebenden Jahresarbeitslohn unter Einbeziehung des sonstigen Bezuges zu ermitteln[3]. Der Unterschiedsbetrag zwischen den ermittelten Jahreslohnsteuerbeträgen ist die Lohnsteuer, die von dem sonstigen Bezug einzubehalten ist[4]. Handelt es sich bei dem sonstigen Bezug um eine Entschädigung i. S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG, ist nach § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG n.F. die Lohnsteuer in der Weise zu ermäßigen, dass der sonstige Bezug bei Anwendung des § 39b Abs. 3 Satz 5 EStG n.F. mit einem Fünftel anzusetzen und der Unterschiedsbetrag i. S. des § 39b Abs. 3 Satz 7 EStG n.F. zu verfünffachen ist. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. ist diese "Fünftel-Regelung" erstmals auf sonstige Bezüge anzuwenden, die dem Steuerpflichtigen nach dem 31.12.1998 zufließen. Die damit verbundene Rückwirkung auf Verträge – wie im Streitfall – ist nach Auffassung des XI. Senats verfassungswidrig, weil ein besonderes und überwiegendes öffentliches Interesse an der rückwirkenden Einschränkung der Steuerbegünstigung für Entschädigungen jedenfalls in solchen Fällen nicht gegeben ist, in denen die Entschädigung nach dem Beschluss des UntStRFogG am 5.8.1997, aber vor Zuleitung des Regierungsentwurfs des StEntlG 1999/2000/2002 an den Bundesrat vereinbart wurde. Denn für die vorher abgeschlossenen Aufhebungsvereinbarungen ist ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand gegeben, weil über die Aufhebung im Vertrauen auf die bisherige Regelung disponiert wurde und die Vereinbarungen nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage änderbar sind. Ferner war im Zeitpunkt der Disposition nicht mit einer Gesetzesänderung zu rechnen, da die streitige Änderung erst nach der Bundestagswahl und dem damit verbundenen Regierungswechsel in Aussicht genommen wurde[5]. Bei der gebotenen Abwägung hat im Hinblick auf den vom Gesetzgeber selbst geschaffenen besonderen Vertrauenstatbestand im Streitfall das Gemeinwohlinteresse an der (rückwirkenden) Änderung der Besteuerung von Entschädigungen nach Auffassung des BFH zurückzutreten.

 

Praxishinweis

Der Vorlagebeschluss hat nur Bedeutung für vor dem Inkrafttreten der Fünftel-Regelung abgeschlossene Entschädigungsvereinbarungen, da die Verfassungswidrigkeit allein mit der Rückwirkung begründet wurde. Für entsprechende "Altverfahren" kann die vorläufige Festsetzung der Steuer nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 AO geltend gemacht werden, um das Verfahren für einen eventuell positiven Entscheid des BVerfG offen zu halten. Daneben kommt u.U. die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Bescheides wegen ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel nach § 69 FGO in Betracht.

 

Link zur Entscheidung

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