Leitsatz
Im Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe zur Vorwegnahme der Erbfolge vereinbarte abänderbare Versorgungsleistungen sind dann nicht als dauernde Last (Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG) abziehbar, wenn sie nicht aus den erzielbaren laufenden Nettoerträgen des übergebenen Vermögens gezahlt werden können.
Sachverhalt
In ihrer Einkommensteuererklärung 1993 beantragten die zusammen veranlagten Eheleute den Abzug von an die Tante der Ehefrau gezahlten 12000 DM als dauernde Last. 1993 hatte die damals 84-jährige Tante der Nichte ein Einfamilienhaus übertragen, das sie ein halbes Jahr zuvor für 320000 DM erworben hatte. Im Gegenzug hatte sich die Nichte verpflichtet, an die Tante bis an deren Lebensende, beginnend mit dem 1.9.1993, monatlich 3000 DM zu zahlen. Sowohl die Tante als auch die Nichte konnten eine Erhöhung oder Minderung der Rente nach § 323 ZPO verlangen. Die Nichte vermietete das Haus anschließend für monatlich 1500 DM. Das Finanzamt lehnte den Abzug der dauernden Last ab. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Der für das Revisionsverfahren zuständige X. Senat fragte beim Großen Senat des BFH an, ob eine dauernde Last auch dann als Sonderausgabe abziehbar sei, wenn sie nicht aus den laufenden Erträgen des übergebenen Vermögens gezahlt werden könne. Der Große Senat verneinte diese Frage.
Entscheidung
Die Abziehbarkeit von wiederkehrenden Leistungen als Sonderausgaben und ihre Steuerbarkeit als wiederkehrende Bezüge lassen sich nur mit der Unentgeltlichkeit der Vermögensübertragung rechtfertigen. Versorgungsleistungen stellen jedoch nur dann kein Entgelt für das im Gegenzug überlassene Vermögen dar, wenn die erzielten Nettoerträge des überlassenen Vermögens im konkreten Fall – soweit bei überschlägiger Berechnung vorhersehbar – ausreichen, um die Versorgungsleistungen abzudecken. Nur dann ist die Annahme des Großen Senats gerechtfertigt, die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen stelle ein unentgeltliches Geschäft dar, weil sich der Übergeber die Erträge vorbehalte. Maßgebliches Kriterium für die Frage, ob ein Wirtschaftsgut Gegenstand einer unentgeltlichen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein kann, ist die Vergleichbarkeit mit dem Vorbehaltsnießbrauch. Die Vermögensübergabe muss sich so darstellen, dass die vom Übernehmer zugesagten Leistungen, obwohl sie von ihm erwirtschaftet werden müssen, als zuvor vom Übergeber vorbehaltene – abgespaltene – Nettoerträge vorstellbar sind.
Fortan kann auch die Übertragung von Geldvermögen, Wertpapieren und typischen stillen Beteiligungen in gleicher Weise berücksichtigt werden wie die Übertragung der bisher unter der Bezeichnung "existenzwahrend" zusammengefassten Vermögensarten.
Der erzielbare Nettoertrag ist nicht notwendigerweise mit den steuerlichen Einkünften identisch. Den nach steuerlichen Regeln ermittelten Einkünften sind (erhöhte) Abschreibungen, Sonderabschreibungen und außerordentliche Aufwendungen hinzuzurechnen. Zinsen sind dem Nettoertrag hingegen nur dann hinzuzurechnen, wenn außerbetriebliche Schulden übernommen werden, deren Umfang geringer ist als der Wert des übernommenen Vermögens. Ein Unternehmerlohn ist nicht abzusetzen. Er spielt nur dort eine Rolle, wo es darauf ankommt, ob das übergebene Vermögen überhaupt "Vermögen" darstellt.
Da der maßgebliche Nettoertrag nicht mit den steuerlichen Einkünften identisch sein muss, kann auch ein Nutzungsvorteil berücksichtigt werden (Einkommen im finanzwirtschaftlichen Sinne). Somit können z.B. Versorgungsleistungen, die im Gegenzug zur Übertragung eines durch den Übernehmer genutzten Einfamilienhauses erbracht werden, abgezogen werden, wenn die ersparte Nettomiete nicht niedriger ist als die versprochenen Leistungen. Ähnliches gilt, wenn der Übernehmer vereinbarungsgemäß Geldvermögen zur Tilgung von Schulden verwendet und dadurch Zinsaufwendungen erspart, die nicht geringer sind als die zugesagten Versorgungsleistungen.
Die Ertragsprognose muss auf die Verhältnisse bei Vertragsschluss abstellen. Sind in der Vergangenheit ausreichende Überschüsse erwirtschaftet worden, bieten diese einen wichtigen Anhaltspunkt.
Praxishinweis
Mit dem vorstehenden Beschluss erkennt der BFH den sog. Typus 2 – Übertragung von Wirtschaftseinheiten, deren Erträge nicht ausreichen, um die wiederkehrenden Leistungen zu erbringen – nicht mehr an. Dies steht im Gegensatz zur bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung, die auch in diesem Fall eine abziehbare dauernde Last unter der Voraussetzung anerkannte, dass der Wert des überlassenen Vermögens im Zeitpunkt der Vermögensübergabe bei überschlägiger und großzügiger Berechnung mindestens die Hälfte des Kapital- oder Barwerts der wiederkehrenden Leistungen beträgt. Diese sog. 50 %-Grenze hat künftig keine Bedeutung mehr.
Der Große Senat scheint in den "Typus 2-Fällen" davon auszugehen, dass ein Abzug als dauernde Last auch nicht hinsichtlich des Teils der wiederkehrenden Leistungen in Betracht kommt, der die erzielbaren ...