Dipl.-Finw. (FH) Walter Niermann
Leitsatz
1. Bei einem Aktienerwerb fließt dem Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil in dem Zeitpunkt zu, in dem der Anspruch auf Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien erfüllt wird.
2. Dem Zufluss steht es nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Sperr- bzw. Haltefrist die Aktien für eine bestimmte Zeit nicht veräußern kann. Der Erwerber ist rechtlich und wirtschaftlich bereits von dem Augenblick an Inhaber der Aktie, in dem sie auf ihn übertragen oder auf seinen Namen im Depot einer Bank hinterlegt wird.
3. Der geldwerte Vorteil fließt dem Arbeitnehmer auch dann mit der Verschaffung der Verfügungsmacht zu, wenn die Aktien unter der auflösenden Bedingung einer Rückzahlungsverpflichtung (§ 158 Abs. 2 BGB) überlassen werden und diese Bedingung eintritt (sog. Istprinzip).
Sachverhalt
Im Urteilsfall nahm ein Arbeitnehmer an einem Mitarbeiterbeteiligungsprogramm seines Unternehmens teil. Er erhielt von seinem Arbeitgeber eine bestimmte Anzahl von Wandelschuldverschreibungen, die ihn zum verbilligten Erwerb von Aktien berechtigten. Aufgrund einer Verfallklausel war der Arbeitnehmer für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zurRückübertragung bereits gewandelter Aktien verpflichtet. Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers wurde aufgelöst, das Unternehmen verzichtete jedoch auf Rückübertragung eines Teils der Aktien. Das Finanzamt nahm den Zufluss des geldwerten Vorteils in dem Zeitpunkt an, in dem der Arbeitgeber auf die Rückübertragung der Aktien verzichtete. Demgegenüber bestand der Arbeitnehmer auf einer Besteuerung in dem früheren Zeitpunkt der Wandlung der Anleihen in Aktien zu einem weitaus geringeren Wert.
Der BFH gab dem Arbeitnehmer Recht. Er ging vom Zufluss des geldwerten Vorteils im Jahr der Umwandlung der Anleihen in Aktien aus. Nach Auffassung des Gerichts führt auch die durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses ausgelöste Verpflichtung zur Rückübertragung der Aktien nicht nachträglich zum Wegfall der Vermögensmehrung im Zeitpunkt der Ausübung des Wandlungsrechts.
Hinweis
Der BFH hat mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zur lohnsteuerlichen Behandlung eines verbilligten Aktienerwerbs bestätigt. Er stellt einmal mehr klar, dass durch Umwandlung einer dem Arbeitnehmer eingeräumten Wandelschuldverschreibung in Aktien bereits im Zeitpunkt der Umwandlung steuerpflichtiger Arbeitslohn zufließt. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Aktien aufgrund einer Sperrfrist nicht veräußern kann oder zur Rückübertragung verpflichtet ist, wenn das Arbeitsverhältnis während der Sperrfrist aufgelöst wird.
Unmittelbar einsichtig erscheint zudem die Sichtweise des BFH, dass sich ein Verzicht des Arbeitgebers auf die vertraglich vereinbarte Rückübertragung von Aktien für den Fall einer vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses nicht einkommenserhöhend auswirkt. Hier bleibt es beim Zufluss von Arbeitslohn im Jahr der Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien. Eine nochmalige Besteuerung des Forderungsverzichts würde zu einer systematisch nicht zu rechtfertigenden Doppelbesteuerung führen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 30.9.2008, VI R 67/05.