Leitsatz
Wird der Vorsteuerabzug von einem Leistungsempfänger aus Lieferungen in sog. "Karussellen" geltend gemacht, in denen Waren nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und ggf. an den vorbezeichneten Lieferungsempfänger zurück"geliefert" werden, ist zweifelhaft, ob diese Warenbewegungen innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen.
Problematik
Das Finanzamt ließ Vorsteuerbeträge einer GmbH, die mit Computerteilen (sog. CPU) handelte, nicht zum Abzug zu, weil sie nach Feststellungen der Steuerfahndungsstelle (Steufa) an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt war. Sie nahm innerhalb des Karussells die Stellung eines sog. Buffers II ein. Ihre Waren bezog sie nahezu ausschließlich von einem anderen Buffer I (H-GmbH) und verkaufte sie an weitere an dem Karussell beteiligte Firmen, insbesondere an die B-AG als sog. Distributor. Hierbei kam es auch zu Doppel- und Mehrfachdurchläufen derselben Ware.
Das Finanzamt ging davon aus, dass ein Angestellter der GmbH, dessen Verhalten ihr zuzurechnen sei, von der Durchführung des Karussells gewusst habe. Es vertrat die Auffassung, die GmbH habe die Waren nicht für ihr Unternehmen bezogen und keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt. Bei "Lieferungen" im Karussellgeschäft werde keine Verfügungsmacht verschafft. Es setzte die Vollziehung der angefochtenen Bescheide gegen Sicherheitsleistung in Höhe des bereits gepfändeten Betrages von 879.422 EUR aus.
Das FG gab dem Antrag der GmbH auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide ohne Sicherheitsleistung statt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei. Das Finanzamt legte Beschwerde ein.
Entscheidung des BFH
Der BFH gab der Beschwerde des Finanzamts statt. Er verneinte die Voraussetzungen, unter denen von einer Sicherheitsleistung abgesehen werden kann (§ 69 Abs. 2 Satz 3 der FGO).
Die GmbH verfügte über keine nennenswerten Vermögenswerte, hatte ihre Kreditlinie ausgeschöpft und die aktive Geschäftstätigkeit seit März 2003 weitgehend eingestellt. Es war nicht damit zu rechnen, dass sie die Steuerschuld nach einer endgültigen gerichtlichen Feststellung auch tatsächlich an das Finanzamt abführen könne. Auch war weder mit Gewissheit noch mit großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache ein günstiger Prozessausgang für den Steuerpflichtigen zu erwarten.
Dazu verwies der BFH auf die dem EuGH vorliegenden englischen Vorabentscheidungsersuchen Rs. C-354/03 und Rs. C-355/03 zum Recht eines Händlers auf Vorsteuerabzug (im Karussell).
Konsequenzen für die Praxis
Mit den Entscheidungen des EuGH zu den Karussellgeschäften dürfte noch heuer zu rechnen sein.
Im Regelfall haben Karusselle folgende Funktionsweise:
Waren werden aus einem anderen Mitgliedstaat an einen Erwerber im Inland steuerfrei verkauft. Der Erwerber (sog. Missing Trader) veräußert die Ware mit einem geringen Aufschlag an einen Abnehmer (sog. Buffer I), der den in der Rechnung des Missing Trader ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer abzieht. Der Missing Trader zahlt - wie von vornherein beabsichtigt - keine Umsatzsteuer und ist deswegen auch nicht mehr zu belangen.
Der Buffer I veräußert die Ware an einen Buffer II mit einem Gewinnaufschlag, der mit dem zuvor berechneten Aufschlag allerdings die Höhe der vom Missing Trader hinterzogenen Steuer nicht überschreitet. Die Waren werden schließlich nach dem Vorsteuerabzug durch den Buffer II von diesem an einen Exporteur (sog. Distributor) veräußert, der sie wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat veräußert und die ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.
Mit dieser Praxis wird eine Steuerbetrugsmöglichkeit, die das Mehrwertsteuersystem bislang bietet, im großen Umfang mit mafiösen Strukturen ausgenutzt. Die Verluste des deutschen Fiskus wurden z.B. für 2001 auf 14 Milliarden EUR, also ca. 10 % des USt-Aufkommens geschätzt, davon rund 4 Milliarden EUR durch Karusselle.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 29.11.2004, V B 78/04, BFH/NV 2005 S. 650