Leitsatz
Ein Steuerbescheid ist aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft. Ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen setzt voraus, dass der Steuerpflichtige seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Er hat nur für eigenes Verschulden einzustehen. Ob und auf welcher Rechtsgrundlage er sich ein Verschulden anderer Personen als eigenes Verschulden zurechnen lassen muss, ist umstritten.
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige erwarb 1982 von der Stadt C ein 3680 qm großes Grundstück für 97402 DM. Er verpflichtete sich, das Grundstück bis spätestens 31.12.1985 mit einem Geschäftsgebäude auf ca. 260 qm zu bebauen und die unbebauten Teilflächen nicht bzw. den zu bebauendenden Teil nicht vor Erfüllung der Bauverpflichtung und darüber hinaus innerhalb von 5 Jahren nicht ohne Zustimmung der Verkäuferin weiter zu veräußern. Die Vertragsparteien beantragten die Eintragung einer Vormerkung für die Stadt C auf Wiederkauf des Grundstücks bzw. der unbebauten Teilflächen. Die Vormerkung wurde in das Grundbuch eingetragen.
In dem errichteten Gebäude betrieb der Steuerpflichtige zunächst ein Einzelunternehmen. Ab 1.1.1990 vermietete er die gewerblichen Räumlichkeiten im Rahmen einer Betriebsaufspaltung an eine GmbH. Im Hinblick auf die beabsichtigte Beendigung des Mietverhältnisses und der Betriebsaufspaltung ließ er ein Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks zum 1.10.1995 erstellen. Zweck des Gutachtens war, bei der Überführung des Betriebsvermögens in das Privatvermögen als Entscheidungshilfe zu dienen.
In dem Gutachten gab der Sachverständige an, ihm habe eine unbeglaubigte Grundbuchabschrift zur Verfügung gestanden. Das Grundbuch habe er nicht eingesehen. Zur Beschaffenheit des Grundstücks wies er darauf hin, dass in Abteilung II keine Eintragungen enthalten seien. Zur Ermittlung des Bodenwerts teilte er das Grundstück in Bauland, Bauerwartungsland sowie Gartenland auf und bezifferte den gesamten Verkehrswert mit 1210000 DM. Das Finanzamt kam zu dem Ergebnis, das Grundstück sei insgesamt als Bauland zu behandeln. Es ging von einem Gesamtverkehrswert von 1650000 DM aus. Der Einkommensteuerbescheid 1995 wurde bestandskräftig.
Der Steuerpflichtige beantragte, den Einkommensteuerbescheid 1995 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern und einen niedrigeren Aufgabegewinn festzusetzen. Bei der Verkehrswertermittlung sei unberücksichtigt geblieben, dass im Grundbuch eine Vormerkung für einen bedingten Rückübertragungsanspruch der Stadt C eingetragen sei. Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag ab. Es war der Auffassung, den Steuerpflichtigen treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Eintragung im Grundbuch. Offen bleiben könne, ob er insoweit selbst grob fahrlässig gehandelt hätte, da er sich das Fehlverhalten des Gutachters zurechnen lassen müsste.
Der BFH entscheidet, dass die Änderung des Steuerbescheids nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil den Sachverständigen am nachträglichen Bekanntwerden der den Grundstückswert mindernden Vormerkung ein grobes Verschulden trifft. Denn dessen Veschulden sei dem Steuerpflichtigen nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen. Zwar habe der Steuerpflichtige ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten. Für sonstige Hilfspersonen habe er dagegen nicht einzustehen. Ein Sachverständiger, der den Wert eines Grundstücks ermittelt, werde nicht zur Erfüllung steuerlicher Pflichten des Auftraggebers gegenüber dem Finanzamt tätig, auch wenn die Wertermittlung für den Betriebsaufgabegewinn von Bedeutung sei. Der Steuerpflichtige habe zwar den Betriebsaufgabegewinn zu erklären, er sei aber nicht verpflichtet, ein Verkehrswertgutachten erstellen zu lassen.
Hinweis
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Dieses hat zu prüfen, ob eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO deshalb ausgeschlossen ist, weil dem Steuerpflichtigen selbst ein Verschulden vorzuwerfen ist oder weil dem Steuerberater ein dem Steuerpflichtigen zuzurechnenendes Verschulden trifft. Für den Fall, dass beide ihre Sorgfaltspflichten nicht verletzt haben, ist zu prüfen, ob die Vormerkung der Stadt tatsächlich zu einer Wertminderung des Grundstücks geführt hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 17.11.2005, III R 44/04.