Leitsatz

  1. Aus den im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes ergibt sich, dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können (Änderung der Rechtsprechung; Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteilvom 21.02.2008, Rs. C-271/06, BFH/NV Beilage 2008, 199 - Netto Supermarkt GmbH & Co. KG).
  2. Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, ist im Erlassverfahren zu prüfen.
 

Sachverhalt

K betrieb an der polnischen Grenze den "Netto-Supermarkt". Deutlich gestiegene Ausfuhren beruhten darauf, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrnachweise nachgefertigt bzw. mit einem falschen Zollstempel versehen worden war. K begehrte unter Hinweis darauf, das Hauptzollamt habe den Stempel bei der ersten Nachfrage für echt gehalten den Erlass der nachgeforderten Steuer.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Sache an das FG zurückverwiesen, da dieses keine Feststellungen getroffen hatte, ob der Unternehmer alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hatte.

 

Hinweis

Laut EuGH steht das Gemeinschaftsrecht einem Billigkeitserlass nicht entgegen, wenn die Voraussetzungen für eine solche Befreiung zwar vorliegen, der Steuerpflichtige aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns die Fälschung der vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise nicht erkennen konnte.

Die Verhinderung der Steuerhinterziehung rechtfertigt zwar Regelungen mit hohen Anforderungen an die Lieferer. Dabei müssen aber die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachtet werden. Insbesondere die Verteilung des Risikos zwischen Unternehmer und Fiskus muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Hat der Lieferer die Beleg- und Buchnachweise erbracht, darf er auf die Rechtmäßigkeit seines Umsatzes vertrauen, wenn er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu vermeiden. Ob das der Fall ist, haben die Gerichte zu prüfen.

Die Modalitäten zum Schutz der Steuerpflichtigen sind Sache jedes Mitgliedstaats. Fehlen – wie bei Ausfuhrlieferungen im Gegensatz zu innergemeinschaftlichen Lieferungen – materiell-rechtliche Regelungen zum Vertrauensschutz, sind Vertrauensschutzaspekte nach allgemeinen abgabenrechtlichen Regelungen zu berücksichtigen. Die §§ 163, 227 AO eröffnen die Möglichkeit, außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen die Voraussetzungen vor, ist das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme auf Null reduziert. Beruft sich der Steuerpflichtige bereits im Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutz, ist es bei Fehlen besonderer Umstände ermessensfehlerhaft, diese Entscheidung nicht mit der Steuerfestsetzung zu verbinden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, 30.07.2008, V R 7/03

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