Leitsatz
Übernimmt der Arbeitgeber, der einen Paketzustelldienst betreibt, aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse die Zahlung von Verwarnungsgeldern, die gegen die bei ihm angestellten Fahrer wegen Verletzung des Halteverbots verhängt worden sind, so handelt es sich hierbei nicht um Arbeitslohn.
Sachverhalt
Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, dass ein Paketzustellunternehmen den Fahrern wegen Verletzung des Halteverbots im Dienst verhängte Verwarnungsgelder erstattete. U.a. deshalb erging ein Lohnsteuer-Haftungs- und Nachforderungsbescheid, mit dem das Finanzamt die auf die Erstattungen entfallende Lohnsteuer für 1990 bis 1992 in Höhe von 262541 DM erhob. Hiergegen trug der Paketzustelldienst vor, um konkurrenzfähig zu sein und die den Kunden garantierten Zustellzeiten einzuhalten, hätten die Fahrzeuge in unmittelbarer Nähe zum Kunden, gegebenenfalls auch in Fußgänger- und Halteverbotszonen, halten müssen. Während für die Bundespost eine generelle Ausnahmeregelung gegolten habe, hätten ihm nur einige Städte entsprechende Ausnahmegenehmigungen erteilt. Schon wegen des Betriebsklimas und um Nachteile für Arbeitnehmer zu vermeiden, die in Zonen ohne Ausnahmegenehmigung tätig waren, hätten die Kosten übernommen werden müssen. Individuelle Gründe wie Betriebszugehörigkeit, Stellung im Betrieb, Lohngruppe usw. hätten keine Rolle gespielt; der Entlastungsbetrag sei mit durchschnittlich unter 100 DM pro Fahrer im Jahr gering gewesen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Auf die Revision gab der BFH der Klage statt.
Entscheidung
Ein Vorteil ist Arbeitslohn, wenn er sich als Ertrag der Arbeit des Arbeitnehmers erweist. Dagegen liegt kein Arbeitslohn vor, wenn ein Vorteil lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erscheint. Letzteres nimmt der BFH bei der Erstattung der Verwarnungsgelder wegen folgender Umstände an: Auch wenn die Verwarnungen ein individuelles Fehlverhalten der betroffenen Fahrer widerspiegeln, sind die Kosten durch die betrieblichen Vorgaben des Arbeitgebers entstanden bzw. ist das Verwarnungsrisiko im Interesse des Arbeitgebers eingegangen worden, was insbesondere der Vergleich der Fahrer in Bereichen mit bzw. ohne Genehmigung zum Halten in Verbotszonen zeigt. Dagegen war das Interesse der Arbeitnehmer, entlastet zu werden, bei durchschnittlichen Kosten von 100 DM pro Jahr vergleichsweise gering; zudem wurden Arbeitnehmer nicht individuell belohnt. Die in der Verwarnung zum Ausdruck gekommene Missbilligung des Verhaltens durch die Rechtsordnung könnte allenfalls dann zu einem anderen Ergebnis führen, wenn es sich um gravierendere Verstöße handelte. Schließlich zwingt nicht zur Annahme von Arbeitslohn, dass die Aufwendungen – wenn sie vom Arbeitnehmer endgültig getragen würden – nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 i.V. mit § 9 Abs. 5 EStG nicht als Werbungskosten abgezogen werden könnten. Denn diese Vorschriften regeln nur die Aufwands-, nicht die Einnahmenseite. Ob das Unternehmen die übernommenen Verwarnungsgelder als Betriebsausgaben abziehen kann, ist bei dem hier zu beurteilenden Haftungsbescheid nicht entscheidungserheblich.
Praxishinweis
Da das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse, das zur Verneinung von Arbeitslohn führt, auch davon abhängt, ob die Vorteilsgewährung für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck besonders geeignet ist, kann das Urteil nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass die Übernahme von im Dienst erhaltenen Bußgeldern generell kein Arbeitslohn ist. Vergleichbar sind lediglich Fälle, in denen der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen in einer ähnlichen Zwangslage ist, wie sie den Streitfall kennzeichnet. Ebenfalls nicht übertragbar ist das Urteil auf bußgeldbewehrtes Verhalten, das zu erhöhten Schadensrisiken bzw. Gesundheitsgefährdungen führt, etwa wenn gesetzliche Ruhezeiten, behördliche Geschwindigkeitsbegrenzungen oder das Verbot, alkoholisiert zu fahren, missachtet werden. Schließlich dürfte sich auch ein Unternehmer, der persönlich beruflich unterwegs ist und über die von ihm eingegangenen Übertretungsrisiken selbst entscheidet, nicht auf den Besprechungsfall berufen können, zumal bei ihm das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG unmittelbar greift.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 7.7.2004, VI R 29/00