Prof. Dr. Edeltraud Günther, Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Rechtswidrig ermittelte Tatsachen unterliegen nur bei einem qualifizierten materiellen Verwertungsverbot der Auswertung durch die Finanzverwaltung
Sachverhalt
Im Urteilsfall ging es um eine Tanzkapelle. Bei mehreren Außenprüfungen bei Saalbetrieben stellten die Prüfer fest, dass Auftraggeber der Tanzkapellen nicht die Gastwirte, sondern die Saalmieter waren. Daraufhin richtete das Finanzamt Auskunftsbegehren an die Mieter hinsichtlich der Musikkapelle sowie des Entgelts, aus denen sich eindeutig ergab, dass die Auskünfte nicht für die eigene Besteuerung der Adressaten benötigt würden. Nach Auswertung der Antworten ergab sich, dass Auftritte entweder gar nicht oder mit geringeren Beträgen erfasst waren. Es wurden entsprechend geänderte, die bislang nicht erklärten sowie um Unsicherheitszuschläge erhöhten Beträge enthaltenden Änderungsbescheide erlassen.
Der BFH stellte fest, dass wenn anlässlich einer Außenprüfung Verhältnisse anderer als der nach § 194 Abs. 1 AO genannten Personen festgestellt werden, deren Auswertung insoweit zulässig ist, als ihre Kenntnis für die Besteuerung dieser anderen Personen von Bedeutung ist. Im Urteilsfall bestand kein Anlass für die Annahme, die Prüfungen der Saalbetriebe sei lediglich zum Schein durchgeführt worden, um eigentlich Feststellungen hinsichtlich der Tanzkapellen zu treffen. Jedoch selbst wenn das Erstellen von Kontrollmitteilungen gegen gesetzliche Verpflichtungen verstoßen hätte, könnten sie ausgewertet werden, wenn sich der eigentlich betroffene Steuerpflichtige nicht gegen diese Maßnahmen gewehrt hat.
Der BFH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung, wonach derartige Auskünfte schon eingeholt werden können, wenn das Finanzamt bei seiner Tätigkeit zu dem Ergebnis gelangt, die Auskünfte könnten zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen. Sie sind daher auch zulässig, wenn der Steuerpflichtige unbekannt ist, jedoch ein hinreichender Anlass aufgrund konkreter Umstände oder allgemeiner, auch branchenspezifischer, Erfahrungen besteht.
Für die Frage, ob rechtswidrig ermittelte Tatsachen einem Verwertungsverbot unterliegen, ist zwischen einem materiell-rechtlichen und einem formellen Verwertungsverbot zu unterscheiden. Lediglich bei einem qualifizierten materiell-rechtlichenVerwertungsverbot ist das Finanzamt an einer Bescheidänderung gehindert. Ein solches Verwertungsverbot liegt vor, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt. Dagegen führen formelle Verstöße gegen Verfahrensvorschriften lediglich zu einem "einfachen" Verwertungsverbot. Selbst wenn die Kontrollmitteilungen rechtswidrig erstellt wurden, haben sie keine Fernwirkung in dem Sinne entfaltet, dass die darauf beruhenden Auskunftsbegehren an die Saalmieter und die weiteren Feststellungen des Finanzamts ebenfalls allein deshalb als rechtswidrig zu beurteilen wären und ggf. einem Verwertungsverbot unterliegen könnten. Eine Fernwirkung von Verwertungsverboten kommt nur bei qualifizierten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen in Betracht.
Hinweis
Der BFH lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Verwertungsverbote in der Besteuerungspraxis die Finanzverwaltung weiterhin nur unter engen Voraussetzungen an der Auswertung der erlangten Erkenntnisse hindert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 4.10.2006, VIII R 53/04.