Leitsatz (amtlich)

Verzichtet ein zur gesetzlichen Erbfolge Berufener auf seinen künftigen Erb- und Pflichtteil und erhält er hierfür anstelle eines Einmalbetrages der Höhe nach begrenzte wiederkehrende Zahlungen, sind diese bei ihm nicht als wiederkehrende Leistungen (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG) steuerbar (Abweichung vom BFH-Urteil vom 7.4.1992, VIII R 59/89, BStBl II 1992, S. 809 = INF 1992, S. 448).

 

Sachverhalt

Die Klägerin willigte 1975 in einen notariellen "Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag" ein und erhielt "als Gegenleistung ohne Rücksicht auf den Wert des Erb- und Pflichtteilsverzichts" eine "Rente" von jährlich 100 000 DM auf die Dauer von elf Jahren, erstmals zum 1.12.1975. Laut Vertrag dient die Rente allein der Versorgung der Klägerin sowie ihrer leiblichen Abkömmlinge und ist im Falle des Todes der Klägerin an deren Kinder bzw. - bei deren Vorversterben -an ihre Erben zu zahlen. Das Finanzamt sah die Zahlungen im Streitjahr 1976 als wiederkehrende Bezüge i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG 1975 an, die es in voller Höhe der ESt unterwarf. Das FG wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Allein die Tatsache, dass eine Leistung nicht in einem Betrag, sondern in Form wiederkehrender Zahlungen zu erbringen ist, kann deren Steuerbarkeit nicht begründen. Denn bei der Anwendung und Auslegung des § 22 Nr. 1 EStG sind die normativen Grundaussagen des § 2 Abs. 1 EStG zu beachten. Danach erfasst die ESt nur "erzieltes" Einkommen, mithin die erwirtschaftete Mehrung objektiver Leistungsfähigkeit. Eine Leistung, die bei Einmalzahlung nicht der ESt unterliegt, kann nicht deshalb in voller Höhe steuerbar werden, weil sie in Form wiederkehrender - zeitlich begrenzter oder auf Lebenszeit einer Person bezogener - Zahlungen zu erbringen ist[1]. Als einkommensteuerrechtlich relevanter Zuwachs von Leistungsfähigkeit kommt allenfalls ein in den wiederkehrenden Leistungen enthaltener Zinsanteil gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG in Betracht[2]. Sonach dürfen als Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht geleistete wiederkehrende Zahlungen nicht in voller Höhe als wiederkehrende Bezüge besteuert werden, weil eine einmalige Abfindung für einen Erb-/ Pflichtteilsverzicht nicht steuerbar ist, unabhängig davon, ob die Abfindung als Entgelt für den Verzicht oder als unentgeltliche Zuwendung beurteilt wird.

Zivilrechtlich ist umstritten, ob Abfindungen für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendungen sind[3]. Wäre die Vereinbarung als entgeltlich zu beurteilen, käme als Rechtsgrundlage für die Steuerbarkeit der Einmalzahlung beim Empfänger nur § 22 Nr. 3 EStG in Betracht. Da einkommensteuerlich nur erwirtschaftetes Einkommen erfasst wird, ist die Umschichtung privaten Vermögens grundsätzlich nicht steuerbar. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Tatbestände des Spekulationsgeschäfts nach § 23 EStG und der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung nach § 17 EStG. Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür gezahlt wird, dass ein Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird, führen zu keinen Einkünften aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG. Ist hiernach der Verzicht auf eine Rechtsposition einer Veräußerung gleichzustellen, entfällt eine Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG.

Wäre die Ausgleichszahlung dagegen als unentgeltliche Zuwendung anzusehen, wäre sie ebenfalls nicht einkommensteuerbar; denn Zuwendungen, die der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer unterliegen, bilden kein "erzieltes" Einkommen i.S. des § 2 Abs. 1 EStG[4].

Die Bezüge der Klägerin sind schließlich auch nicht als wiederkehrende Leistungen aus einer "Vermögensübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge gegen Versorgungsleistungen" nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG als "dauernde Last" bei der Beigeladenen abziehbar und hiermit korrespondierend bei der Klägerin nach § 22 Nr. 1 EStG steuerbar. Eine Zuordnung zu diesem Vertragstyp scheidet bei wertendem Vergleich mit einer Hof- und Betriebsübergabe als idealtypischem Fall schon deshalb aus, weil der Steuerpflichtige für den Verzicht einen der Höhe nach bestimmten, wenn auch in mehreren - und insoweit "wiederkehrenden" - Teilbeträgen zu entrichtenden Betrag erhält.

Offenbleiben kann, ob in den einzelnen Zahlungen ein Zinsanteil enthalten ist, der bei der Klägerin nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu versteuern wäre. Die Klägerin selbst hat lediglich eine Herabsetzung der Steuer in der Weise beantragt, dass die Zahlungen (nur) mit einem Zinsanteil von 38 237 DM als Einkünfte aus Kapitalvermögen besteuert werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 20.10.1999 - X R 132/95

[2] Vgl. z.B.BFH-Urteilvom25.10.1994,VIIIR79/91,BStBlII 1995, S. 121 = INF 1995, S. 119
[3] Vgl. z.B. Frank, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 2325 Rz. 14, m.w.N.

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