Leitsatz (amtlich)
Schließen künftige gesetzliche Erben einen Vertrag gemäß § 312 Abs. 2 BGB, wonach der eine auf seine künftigen Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegen Zahlung eines Geldbetrages verzichtet, stellt die Zahlung eine freigebige Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 dar. Die Steuerklasse richtet sich nach dem Verhältnis des Zuwendungsempfängers (Verzichtenden) zum künftigen Erblasser.
Sachverhalt
Nachdem die Mutter des Klägers ihr gesamtes Vermögen auf dessen Bruder übertragen hatte, schlossen die beiden Brüder noch zu Lebzeiten der Mutter am 7.12. 1990 einen notariell beurkundeten Vertrag, wonach der Kläger gegenüber seinem Bruder auf sämtliche etwaige Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche bezüglich des Nachlasses der Mutter verzichtet. Der Bruder seinerseits verpflichtete sich, innerhalb dreier Wochen ab Vertragsschluss 130 000 DM und innerhalb von sechs Wochen nach dem Tod der Mutter weitere 130000 DM an den Kläger zu zahlen. Beide Zahlungen sind vertragsgemäß erfolgt. Die Mutter ist im Oktober 1991 verstorben. Das Finanzamt sah in den Zahlungen freigebige Zuwendungen des Bruders i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 und setzte gegen den Kläger Schenkungsteuer fest. Dabei war die Steuer nach der Steuerklasse III berechnet. Das FG hob die Schenkungsteuerbescheide auf, obwohl der Kläger lediglich eine Herabsetzung auf die Steuer beantragt hatte, die sich nach der im Verhältnis zur Mutter geltenden Steuerklasse I/2 ergibt. Die Revision des Finanzamts hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Das FG ist mit der Aufhebung der Steuerbescheide über das Klagebegehren hinausgegangen. Dies stellt einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, der auch ohne Rüge zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt. Bei der erneuten Entscheidung hat das FG folgendes zu beachten:
Durch die Zahlung der 260000 DM wurde der Kläger aus dem Vermögen seines Bruders bereichert. Die Zahlung erfolgte freigebig, weil der Bruder gegenüber dem Kläger rechtlich nicht zur Zahlung verpflichtet war. Denn dem Kläger stand am maßgeblichen Stichtag ein Anspruch auf den Pflichtteil oder auf eine Pflichtteilsergänzung gegen seinen Bruder nicht zu. Die Zahlung des Bruders erfolgte somit nicht auf eine Forderung. Daran vermag auch der vom Kläger erklärte "Verzicht" auf eine möglicherweise zukünftig einmal entstehende Forderung nichts zu ändern. Denn diese stellte im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keinen in Geld bewertbaren Vermögenswert dar, sondern verkörperte allenfalls eine bloße Erwerbschance, die als solche nicht geeignet ist, Gegenstand einer die Freigebigkeit ausschließenden Gegenleistung zu sein. Der Sondertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG 1974 für Abfindungen gegen Erb- oder Pflichtteilsverzicht steht der Annahme einer freigebigen Zuwendung im Streitfall nicht entgegen.
Auch der subjektive Tatbestand einer freigebigen Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 ist erfüllt. Dem Zuwendenden war im Zeitpunkt der Genehmigung des notariell beurkundeten Vertrages bekannt, dass er zu einer Leistung an seinen Bruder nicht verpflichtet war, weil ein Pflichtteils(ergänzungs)anspruch seines Bruders noch nicht entstanden war, da die Mutter noch lebte. Die Möglichkeit, nach Eintritt des Erbfalls zur Erfüllung eines dann entstehenden Pflichtteils(ergänzungs)anspruchs verpflichtet zu sein, ändert nichts daran, dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine Verbindlichkeit bestanden hat.
Die Steuer ist gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG 1974 nicht nach der Steuerklasse III/2 festzusetzen. Der Verzicht auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben kann hinsichtlich der Steuerklasse vor Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als nach Eintritt des Erbfalls. Beide Male geht es um die wertmäßige Teilhabe des Verzichtenden am Vermögen des Erblassers. Nach Eintritt des Erbfalls aber ist der Verzicht auf die noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG 1974 nach der Steuerklasse zu bestimmen, die im Verhältnis zum Erblasser gilt.
Aus dem gleichen Grunde, der zur Anwendung der Steuerklasse I geführt hat, ist es dem Bruder des Klägers möglich, die Abfindung als Erwerbskosten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 ErbStG 1974 geltend zu machen, sofern § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AO dies noch zulässt.
Link zur Entscheidung
BFH vom 25.1.2001 – II R 22/98