Leitsatz
Der Hinweis auf eine Änderung zum Nachteil des Einspruchsführers ist nur dann – ausnahmsweise – entbehrlich, wenn eine erhöhte Steuerfestsetzung (Feststellung) auch nach Rücknahme des Einspruchs möglich gewesen wäre, wenn sich also die Verböserung durch Einspruchsrücknahme nicht hätte vermeiden lassen. Ist zweifelhaft, ob eine Änderung noch möglich ist, darf auf den Hinweis nicht verzichtet werden.
Sachverhalt
Eine aus dem Kläger und den beiden Mitgesellschafter G und F bestehende Sozietät setzte sich nach Beendigung auseinander. Das Finanzamt änderte im Anschluss an eine Betriebsprüfung den entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Gegen den Bescheid legten alle drei Gesellschafter Einspruch ein. Das Finanzamt betrieb die Einspruchsverfahren getrennt ohne gegenseitige Information der Einspruchsführer. Erst mit der Einspruchsentscheidung verband es die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung, setzte den Gesamtgewinn der Sozietät herab und rechnete dem Kläger und G je zur Hälfte einen Veräußerungsgewinn zu, den es zuvor bei F erfasst hatte. Das FG hob die Einspruchsentscheidung auf, weil der Kläger zuvor nicht auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen worden war.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG. Der Feststellungsbescheid ist zum Nachteil des Klägers geändert worden, da sein Gewinnanteil erhöht worden ist. Auf die Herabsetzung des Gesamtgewinns der Mitunternehmerschaft ist insoweit nicht abzustellen. Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO hätte das Finanzamt dem Kläger deshalb einen Hinweis auf die beabsichtigte Verböserung geben müssen. Ein Ausnahmefall, für den ein solcher Hinweis entbehrlich sein könnte, lag hier nicht vor. Denn bei einer Rücknahme des Einspruch durch den Kläger wäre eine Änderung zu dessen Ungunsten nicht ohne Weiteres möglich gewesen. Wegen der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung scheidet eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO aus. Die Möglichkeit, den Kläger nach Einspruchsrücknahme zu den Verfahren der anderen Gesellschafter hinzuzuziehen und über diesen Weg eine Änderung zu dessen Ungunsten zu bewirken, gewährleistet dem Finanzamt keine vergleichbare uneingeschränkte Änderungsmöglichkeit. Wegen der Akzessorietät der Hinzuziehung wäre eine Änderung davon abhängig, dass die Mitgesellschafter ihre Einsprüche aufrechterhalten.
Praxishinweis
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der Hinweis auf eine Verböserung ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn das Finanzamt auch im Fall einer Einspruchsrücknahme eine Änderung des Bescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen herbeiführen könnte. Zweck des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO ist es, dem Einspruchsführer die Möglichkeit zu geben, durch eine Rücknahme des Einspruchs der angekündigten Verböserung zuvorzukommen. Dieser Zweck kann aber nicht erreicht werden, wenn sich die Verböserung auch durch Einspruchsrücknahme nicht vermeiden lässt. Eine solche Unvermeidbarkeit sieht der BFH nach der Rezensionsentscheidung nur dann als gegeben, wenn dem Finanzamt nach Einspruchsrücknahme noch eine sichere Änderungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Das ist nach einer Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren eines Dritten gemäß § 360 Abs. 3 AO und der dann nach § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AO eröffneten Änderungsmöglichkeit des gegen den Hinzugezogenen ergangenen Bescheids aber nicht der Fall. Diese Änderungsmöglichkeit hängt nämlich davon ab, dass der Dritte seinen Einspruch aufrechterhält. Nimmt er ihn zurück, kann das Verfahren gegen den Hinzugezogenen nicht fortgesetzt werden. Deshalb darf das Finanzamt im Zweifel – so der BFH – nicht auf den Verböserungshinweis verzichten.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 22.3.2006, XI R 24/05