Leitsatz
Wird auf zustehende Einkünfte und Bezüge (hier: Weihnachtsgeld) verzichtet, damit der Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wird, kann dadurch der Kindergeldanspruch nicht gesichert werden.
Sachverhalt
Streitig war, ob der Vater des 1981 geborenen S Anspruch auf Kindergeld hat. Dem S, der ab September 1999 eine Ausbildung absolvierte, stand im ersten Jahr eine Vergütung von 1260 DM und im zweiten von 1370 DM monatlich zu. Nachdem sein Arbeitgeber der Familienkasse mitgeteilt hatte, dass S für die Zeit von Januar bis August 2000 zusätzlich Urlaubsgeld (630 DM) und für die Zeit ab September 2000 Weihnachtsgeld (685 DM) erhalte, nahm die Familienkasse an, dass bei voraussichtlichem Arbeitslohn von 16875 DM und voraussichtlichen Werbungskosten von 3130 DM der Jahresgrenzbetrag (13500 DM) überschritten werde. Deshalb hob sie die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2000 auf. Imanschließenden Klageverfahren stellte sich heraus, dass S tatsächlich nur 16190 DM Arbeitslohn zugeflossen war, weil er auf die Auszahlung des Weihnachtsgeldes (685 DM) verzichtet hatte. Das FG wies die Klage unter Hinweis auf § 32 Abs. 4 Satz 7(jetzt 9) EStG ab. Da sonst kein vernünftiger Grund für den Verzicht auf das Weihnachtsgeld gegeben sei, liege ein Gestaltungsmissbrauch vor, der nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG den Verlust des Kindergeldanspruchs nicht verhindern könne. Die Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Entscheidung
Das Kindergeld entfällt, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag von 13500 DM (jetzt 7188 EUR) übersteigen oder nur deswegen nicht übersteigen, weil das Kind auf Teile der zustehenden Einkünfte und Bezüge verzichtet. Trifft das Kind eine Verwendungsabrede, nach welcher der Arbeitgeber Teile des Lohns auf Veranlassung des Kindes an einen Dritten weitergibt, dann erzielt das Kind diese Teile ohnehin. Schädlich ist aber auch ein echter Verzicht, bei dem das Kind insofern keine Einkünfte erzielt. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte und aus Sinn und Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG. Diese Vorschrift dient der Missbrauchsabwehr und ist daher einschlägig, wenn der Verzicht deswegen erfolgt, um dem Berechtigten (hier: dem Vater) den Anspruch auf Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag zu erhalten. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Verzicht erst ausgesprochen wurde, nachdem die Zahlung von Weihnachtsgeld bereits zugesagt worden war. Denn es reicht bereits, wenn zur Erhaltung des Kindergelds Vereinbarungen getroffen werden, die dafür ursächlich sind, dass Ansprüche nicht geltend gemacht werden können, die ohne diese Vereinbarung erfüllt worden wären. Der Verzicht setzt also keinen Erlassvertrag voraus, sondern es reicht, wenn im Ergebnis eine Art Vertrag zu Lasten der Allgemeinheit geschlossen wird, durch den ein sonst nicht zustehender Kindergeldanspruch mittels Verzicht auf einen gegebenenfalls geringfügigen Betrag erhalten bleibt.
Praxishinweis
Ein Verzicht liegt nur vor, wenn er sich auf andernfalls zustehende Einkünfte oder Bezüge bezieht. Dem kann nicht gleichgestellt werden, dass das Kind sich ihm bietende Chancen zur Einnahmeerzielung nicht wahrnimmt bzw. ausschlägt. Ein Verzicht dürfte auch nicht vorliegen, wenn allgemein bestimmte – z.B. auf einem Tarifvertrag beruhende – Ansprüche nicht so, sondern nur geringer erfüllt werden, weil hier grundsätzlich das steuerliche Zuflussprinzip und nicht das sozialversicherungsrechtliche Entstehungsprinzip zur Anwendung kommt. Erst bei darüber hinausgehenden individuellen Vereinbarungen, welche die sonst erfolgenden Zuflüsse verhindern, wird das vom Gesetz missbilligte Ergebnis erfüllt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.03.2003, VIII R 16/02