Leitsatz
Die Mitteilung über Änderungen in den für das Kindergeld erheblichen Verhältnissen, zu welcher der Kindergeldberechtigte nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet ist, ist keine "Anzeige" i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, die zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Anspruch auf Kindergeld führt.
Sachverhalt
Rechtsnachfolger des inzwischen verstorbenen D sind seine beiden Kinder aus erster Ehe, Sohn S aus zweiter Ehe und seine dritte Ehefrau. D bezog für S Kindergeld bis einschließlich Februar 2001. Nachdem bekannt geworden war, dass S nicht bei D, sondern im Haushalt seiner Mutter, der Beigeladenen, gelebt hatte, forderte die Familienkasse im Juli 2003 von den Rechtsnachfolgern des D das für S gezahlte Kindergeld von Januar 1996 bis Februar 2001 – insgesamt 7339 EUR – zurück. Der hiergegen erhobenen Klage gab das FG hinsichtlich eines Teilbetrags von 3926 EUR statt, da die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den verjährten Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1998 rechtswidrig gewesen sei. Die hiergegen von der Familienkasse eingelegte Revision wies der BFH zurück.
Entscheidung
Für das als Steuervergütung gezahlte Kindergeld sind die Vorschriften über die Steuerfestsetzung, also auch über die Festsetzungsverjährung sinngemäß anzuwenden. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO darf die Festsetzung einer Steuervergütung mit Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben werden. Die vierjährige Festsetzungsfrist – für eine vorsätzliche Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung, für die eine zehn- bzw. fünfjährige Festsetzungsfrist gilt, lagen keine Anhaltspunkte vor – beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch entstanden ist. Kindergeldansprüche entstehen jeweils für den Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Danach war die Festsetzungsfrist für das in den Kalenderjahren 1996, 1997 und 1998 gezahlte Kindergeld mit Ende der Jahre 2000, 2001 bzw. 2002 abgelaufen.
Es ist auch keine Anlaufhemmung der Verjährung um bis zu drei Jahren eingetreten, weil die in § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG dem Kindergeldempfänger auferlegte Verpflichtung, rechtserhebliche Änderungen über die Kindergeldverhältnisse der Familienkasse mitzuteilen, keine Anzeige i.S. von § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO darstellt. Hierfür spricht nicht nur der unterschiedliche Wortlaut – Mitteilung statt Anzeige – sondern neben der Entstehungsgeschichte auch die Tatsache, dass § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nach seiner Konzeption nur Fälle betrifft, in denen eine Steuer bzw. Steuervergütung noch nicht festgesetzt ist. Liegt – wie hier – eine Festsetzung bereits vor, bleibt der Ablauf der Festsetzungsfrist unberührt. Hieran ändert nichts, dass es sich bei der Kindergeldfestsetzung um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Denn der Familienkasse bleibt mit vier Jahren – gegebenenfalls auch fünf oder zehn Jahren bei Steuerverkürzung bzw. Steuerhinterziehung – ausreichend Zeit, um die Kindergeldfestsetzung an die geänderten Verhältnisse anzupassen.
Praxishinweis
Rechtsstreite wie dieser wären zu vermeiden, wenn bei mehreren Kindergeldberechtigten die zutreffende Auswahl nicht – wie derzeit im Gesetz vorgesehen – rückwirkend, sondern nur für die Zukunft abweichend zu entscheiden wäre. Angesichts der erheblichen Rückabwicklungsbeträge muss nicht auch noch der Abwicklungszeitraum verlängert werden. Die Familienkasse kann das Ergebnis des BFH gelassen sehen, da auch bei der Beigeladenen als zutreffender Anspruchsberechtigter Verjährung eingetreten ist.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 18.5.2006, III R 80/04