Leitsatz
- Betrieblich veranlasste Bewirtungskosten berechtigen unter den allgemeinen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (§ 15 Abs. 1 UStG 1999) zum Vorsteuerabzug.
- Die Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG 1999 ist mit Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG nicht vereinbar.
- Der Steuerpflichtige kann sich auf das ihm günstigere Gemeinschaftsrecht berufen.
Sachverhalt
Eine GmbH bewirtete gelegentlich Geschäftskunden bei Vertragsverhandlungen und bei Baubesichtigungen in Gaststätten. In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1999 machte sie die auf die Bewirtungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge in vollem Umfang geltend, weil sie den teilweise Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei Bewirtungsaufwendungen gemäß § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar hielt. Das Finanzamt folgte dem nicht. Gegen das der Klage stattgebende Urteil ging es in die Revision. Das BMF trat dem Verfahren bei.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG-Urteil. Zwar sind seit 1.4.1999 u.a. Vorsteuerbeträge auf Aufwendungen, die dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG unterliegen, nach § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG nicht abziehbar. Nach der im Streitjahr geltenden Fassung durften Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass den Gewinn nicht mindern, soweit sie 80 % der Aufwendungen übersteigen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind. Das bedeutet eine Kürzung des Vorsteuerabzugs um 20 %.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen seiner Bedeutung für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, soweit die 6. EG-Richtlinie selbst keine Ausnahmen vorsieht. Die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe in Art. 17 der 6. EG-Richtlinie kennt weder eine dem § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG 1999 entsprechende Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug noch erlaubt sie eine derartige Einschränkung. Die Bestimmung enthält eine Stillhalteklausel, die die Beibehaltung innerstaatlicher Ausschlüsse des Rechts auf Vorsteuerabzug erlaubt, die vor dem In-Kraft-Treten der 6. EG-Richtlinie galten. Die ferner in dieser Bestimmung vorgesehene Regelung zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs u.a. bei Repräsentationsaufwendungen ist bis heute noch nicht erlassen worden. Repräsentationsaufwendungen i.S. des Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie sind auch – unternehmerisch veranlasste – Bewirtungsaufwendungen.
Das UStG 1973 schloss bei In-Kraft-Treten der 6. EG-Richtlinie den Vorsteuerabzug für Bewirtungsaufwendungen nicht aus. Soweit die damalige Besteuerung des Eigenverbrauchs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG hinsichtlich der Aufwendungen, die nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 – 7 EStG bei der Gewinnermittlung ausscheiden, wie eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wirkte, betraf sie jedoch Bewirtungsaufwendungen der streitigen Art nicht. Soweit § 4 Abs. 5 EStG ab 1990 den Betriebsausgabenabzug für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass auf 80 % beschränkte, wurde dies nicht auf das UStG ausgedehnt, sondern ausdrücklich durch § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 UStG wieder "aufgehoben". Erst durch § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG 1999 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG wurde der Vorsteuerabzug auf 80 % der angemessenen und nachgewiesenen Bewirtungsaufwendungen ab 1.4.1999 beschränkt. Schon im Hinblick darauf kann – entgegen der Auffassung des BMF – keine vor In-Kraft-Treten der Richtlinie bestehende nationale Ausschlussregelung darin gesehen werden, dass "der Verweis auf das ertragsteuerliche Abzugsverbot gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG" geblieben sei.
Eine Vorlage an den EuGH war nicht erforderlich, weil zur Auslegung des Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie bereits gesicherte Rechtsprechung vorhanden ist.
Praxishinweis
Die Entscheidung gilt für alle Besteuerungszeiträume ab 1999, also auch für die Senkung des einkommensteuerrechtlichen Abzugs auf 70 % ab 2004.
Die Abschaffung des Vorsteuerabzugs auf Bewirtungsaufwendungen gehört zwar zu den Zielen der 6. EG-Richtlinie, weil es sich nicht um Ausgaben mit streng geschäftlichem Charakter handelt. Wie vom BMF im Verfahren vorgetragen, liegt dazu inzwischen wieder ein Entwurf vor. Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Thema – und dem Einstimmigkeitsprinzip in der EU – dürfte schwerlich mit einer baldigen Umsetzung zu rechnen sein. Andererseits würde die Durchsetzung dieses Ziels durchaus vereinfachende Wirkung haben und – häufig skurrile – Streitigkeiten über die Angemessenheit der Aufwendungen und ihren Nachweis überflüssig machen. Jedenfalls dürfen die Mitgliedstaaten dem Gemeinschaftsgesetzgeber insoweit nicht vorgreifen. Insofern ist auch unerheblich, ob ein neuer Vorschlag der Kommission für die in Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie vorgesehene Richtlinie vorliegt.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 10.2.2005, V R 76/03