Leitsatz (amtlich)
Beugt eine Maßnahme des Arbeitgebers einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit des Arbeitnehmers vor oder wirkt ihr entgegen, kann der dem Arbeitnehmer aus der Maßnahme erwachsende Vorteil im Einzelfall nicht als Arbeitslohn zu erfassen sein.
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein mittelständisches Unternehmen der EDV-Branche. Bei einer LSt-Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass seit dem 1.1.1995 ein Masseur das Unternehmen aufgesucht hat, um Arbeitnehmer auf Kosten der Klägerin zu massieren. Die Dauer der Einzelmassage betrug ca. 15 Minuten. Im fraglichen Zeitraum (1.1. bis 30.6.1995) hat der Masseur insgesamt 22 Besuche à 4,5 Stunden abgerechnet und 376 medizinische Massagen verabreicht. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 11 878 DM. Jeder Arbeitnehmer konnte selbst darüber entscheiden, ob er sich massieren lassen wollte. Von 63 Arbeitnehmern der Klägerin ließen sich 46 Mitarbeiter massieren. Aufgrund dieses Sachverhalts ermittelte das Finanzamt eine LSt-Nachforderung von 5 606 DM und erließ einen entsprechenden LSt-Pauschalierungsbescheid. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Zum Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Vorteile, die "für" eine Beschäftigung gewährt werden. Der einem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendete Vorteil muss Entlohnungscharakter haben. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen. Das Ergebnis einer solchen, den Arbeitslohncharakter verneinenden Würdigung liegt darin, dass der Vorteil ganz überwiegend im eigenbetrieblichen Interesse gewährt sein muss. Es muss sich aus den Begleitumständen, wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Aufnahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergeben, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden kann. Letzteres trifft zu, falls sich der Vorteil im Verhältnis zu den vom Arbeitgeber verfolgten gewichtigen betriebsfunktionalen Zwecken und der besonderen Geeignetheit des dazu eingesetzten Mittels als notwendige Begleiterscheinung darstellt.
Im Streitfall hat das FG nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Massagen einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit der Arbeitnehmer vorbeugen bzw. ausgleichend entgegenwirken sollten. Danach könnte - im Rahmen der anzustellenden objektiven Würdigung aller Einzelumstände - der Arbeitslohncharakter der Massagen zu verneinen sein. Im Übrigen reichen die vom FG getroffenen Feststellungen nicht dazu aus, die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, die Klägerin habe nicht aufgrund eines ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesses ihren Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnet, sich massieren zu lassen. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin mit der Verabreichung der Massagen besonders gewichtige betriebsfunktionale Zielsetzungen verfolgt hat und die Massagen für die Erreichung dieser Zielsetzungen besonders geeignet waren. Insbesondere bedarf es Feststellungen dazu, wie häufig bei Arbeitnehmern, die ganztags an Bildschirmarbeitsplätzen tätig sind, mit körperlichen, die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Beschwerden und Fehlzeiten infolge der Arbeitsbedingungen zu rechnen ist. Ferner bedarf es Feststellungen dazu, ob die auf Veranlassung der Klägerin verabreichten Massagen besonders dazu geeignet waren, möglichen mit der Tätigkeit an Bildschirmarbeitsplätzen verbundenen Beschwerden - vorbeugend - entgegenzuwirken und gegebenenfalls krankheitsbedingte Arbeitsausfälle zu verhindern.
Link zur Entscheidung
BFH vom 30.5.2001 – VI R 177/99