Leitsatz
Aufwendungen einer Steuerpflichtigen, die sich im Erziehungsurlaub befindet, können vorab entstandene Werbungskosten sein. Dabei bedarf der berufliche Verwendungsbezug der Aufwendungen – wenn er sich nicht bereits aus den Umständen von Umschulungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen ergibt – einer ins Einzelne gehenden Darlegung.
Sachverhalt
Eine Lehrerin, die sich im Streitjahr 1995 zur Betreuung ihres im September 1993 geborenen Kindes im Erziehungsurlaub befand und ihre Berufstätigkeit im August 1997 wieder aufnahm, machte bei Arbeitslohn in Höhe von 591 DM Aufwendungen für Fachliteratur (475 DM), Kontoführung (30 DM), Besorgungsfahrten (50 DM) und ein häusliches Arbeitszimmer (4 465 DM) als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt, das bei dem Ehemann, ebenfalls Lehrer, bereits die Kosten eines anderen Arbeitszimmers anerkannt hatte, berücksichtigte bei der Lehrerin statt der geltend gemachten Werbungskosten gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG Sonderausgaben mit dem Höchstbetrag von 900 DM. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Auf die Revision hob der BFH das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Der BFH knüpft an seine neue Rechtsprechung zu vorab entstandenen Werbungskosten bei beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen an und bestätigt den Vorrang des Abzugs von Werbungskosten vor dem von Sonderausgaben auch für den in § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 2. Altern. EStG ausdrücklich erwähnten Fall der Weiterbildung im nicht ausgeübten Beruf. Danach können Aufwendungen, wenn tatsächlich eine berufsbezogene Verwendung plausibel ist, zu Werbungskosten führen. Allerdings tritt der BFH ebenso deutlich der Tendenz des FG entgegen, Werbungskosten "auf Zuruf" anzuerkennen. Dieses hatte bereits genügen lassen, dass das Finanzamt vorgelegte Belege nicht substantiiert in Frage gestellt hatte. Dieser Beweislastumkehr ist der BFH nicht gefolgt, sondern verlangt vom FG, etwa hinsichtlich geltend gemachter Arbeitsmittel, anhand vorgelegter Unterlagen eine eigene Überzeugung von der beruflichen Nutzung zu gewinnen. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass bei den geltend gemachten Kontoführungskosten und den sog. Besorgungsfahrten ein beruflicher Bezug nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Auch hinsichtlich des Arbeitszimmers werden Angaben zu Art und Umfang der Nutzung verlangt. Während nämlich bei Umschulungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen – etwa bei einem berufsbegleitend absolvierten Studium – plausibel ist, dass ein vorhandenes Arbeitszimmer auch umfänglich zum Arbeiten genutzt wird, ist das beim Erziehungsurlaub ohne nähere Erläuterung der Arbeitsinhalte nicht ohne weiteres der Fall.
Das FG wird sich in diesem Zusammenhang auch darüber klar werden müssen, ob es die Behauptung der Kläger glaubt, dass ihr zweijähriges Kind jeweils im Elternschlafzimmer übernachtet hat und nicht in dem auf derselben Ebene liegenden "Arbeitszimmer" und warum hinsichtlich des auf einer anderen Ebene liegenden "Gästezimmers" später – wie behauptet – eine Nutzungsänderung vorgenommen wurde, auch wenn der BFH diese Umstände nicht ausdrücklich aufgegriffen, sondern sich damit begnügt hat, das FG in dezenter Form auf seine Ermittlungspflichten hinzuweisen.
Praxishinweis
Da der BFH auch hinsichtlich der Weiterbildung im nicht ausgeübten Beruf vorrangig Werbungskosten annimmt, bleiben für einen Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG wohl keine Anwendungsfälle mehr übrig. Denn auch hierfür war bisher Voraussetzung, dass die Aufwendungen Erwerbszwecken und nicht einem privaten Hobby dienen. Das bedeutet, dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG genauso gut ersatzlos gestrichen werden könnte. Der Streitfall zeigt darüber hinaus, dass die neue Rechtsprechung des BFH auch nachteilig für den Steuerpflichtigen sein kann. Obwohl § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keinen Freibetrag, sondern nur einen Höchstbetrag beinhaltet ("Aufwendungen … bis zu"), sind in der Praxis – wie auch der Streitfall zeigt – an den Aufwendungsnachweis keine großen Anforderungen gestellt worden. Es ist möglich, dass sich das beim Werbungskostenabzug ändert. Im Streitfall bleibt den Lehrern aber jedenfalls der Abzug der 900 DM erhalten, weil im Gerichtsverfahren keine Verböserung stattfindet.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.07.2003, VI R 137/99